Schwere Atmung, schwere Beine - Asthma und Triathlon

von Jens Richter für tri2b.com für tri2b.com | 27.08.2002 um 18:51
Verborgenes Hantieren mit dem Dosierpümpchen – das riecht schnell nach unerlaubten Mittelchen. Doch ohne Behandlung ist Triathlon für Asthmatiker gefährlich. Richtig behandelt, können sie dagegen zu den Besten gehören ...

Triathlon und Asthma, die Kombination von Leistungssport und Lungenerkrankung klingt für die meisten Laien ziemlich absurd – und hat einen üblen Beigeschmack. Denn denkt man an die Dopingdiskussionen der vergangenen Jahre, dann wirkt die Diagnose „Asthma“ wie ein ärztlich legitimierter und attestierter Vorwand zum gezielten Doping: Indurain, Ullrich, Gonzales de Galdeano – wenn die Pollen flogen, kamen die drei Ausnahme-Radsportler mit nachgewiesen außerordentlich hoher Sauerstoffaufnahme meistens mit Dosieraerosol und Attest zu den Rennen. Und Pollen fliegen ziemlich genaU so lange, wie die Radrenn-Saison dauert. Freuen sich also die wackeren Enthüllungs-Journalisten und verwechseln auch prompt die Fakten. Schlagworte wie Kortison (ein Hormon, welches auch Leistungsreserven freisetzen kann) oder Salbutamol und Clenbuterol (bekannt aus Kälbermast und Krabbe-Doping, mit muskelaufbauender Nebenwirkung) sind ihnen nämlich in der verbalen Wirkung besser bekannt, als in ihrer Bedeutung als Medikamente. Skepsis ist wohl angebracht, jedoch steigt mit solch undifferenzierter Betrachtung bei Betroffenen wie Beobachtern die Hemmschwelle schnell zu weit nach oben ... Ausdauersport ist Asthmatherapie In Deutschland haben etwa zehn Prozent der Bevölkerung eine krankhaft überhöhte Reaktionsneigung der Bronchien, die Hälfte von ihnen leiden an echtem Asthma. Viele der Betroffenen treiben aber natürlich Sport, manche auch im hohen Leistungsbereich. Und nicht alle wissen überhaupt von ihrem ständigen Handicap, dem Grund plötzlicher Atemnot und schwerer Beine. Die DTU-Kader-Athletin Ina Reinders leidet schon seit ihrer Kindheit am Asthma bronchiale – einmal musste sie sogar als Notfall im Krankenhaus behandelt werden. Dann, mit etwa sechs Jahren, nahmen die Symptome etwas ab und Ina tat, was alle Asthma-Kinder heute tun sollten: Sie trieb regelmäßig Sport, ging zur Leichtathletik. Regelmäßiges Training im Ausdauerbereich und ohne maximale Belastungen der Atmung ist für Asthmatiker eine ideale Therapie. Es verschiebt die Anfallsschwelle in höhere Belastungsbereiche ... Überall lauern die Trigger Mit der Pubertät „wachsen sich die Probleme häufig aus“, da mögen hormonelle Umstellungen eine große Rolle spielen. So auch bei Ina Reinders. Jahrelang war sie fast beschwerdefrei. Einige Anfallsauslöser nennt auch sie als ganz typisch: Rauch, Staub und anders verunreinigte Luft stehen natürlich ganz oben, aber die sind noch recht leicht zu vermeiden. Kalte und trockene Luft, wie im Wintertraining oder bei Crossläufen (vor allem, wenn sie ohne gründliches Aufwärmtraining durch die Bronchien jagt), schwüles Vor-Gewitterwetter und der allergieauslösende Pollenflug lassen sich aber beim „Open-Air-Sport Triathlon“ kaum umgehen. Sie führen oft bei geringer Belastung schon zum Krampf der Bronchien, dem sogenannten Bronchospasmus. Wenn übrigens eine nicht behandelte Infektion der oberen Atemwege, wie zum Beispiel eine Nebenhöhlen-Entzündung oder eine nicht sanierte Entzündung der Zahnwurzeln vorliegt, dann reagieren auch die Bronchien mit Entzündung und Schleimhautschwellung. Das verstärkt asthmatische Beschwerden noch deutlich. No way out – die Bronchien werden zur Luftfalle Wer, wie Reinders, mit Asthma aufgewachsen ist, erkennt natürlich die Zeichen des beginnenden Anfalls sofort: das Ziehen in den Bronchien, das schwere, pfeifende Ausatmen und den aufgeblähten Thorax. Gleichzeitig werden Arme und Beine bleischwer, verweigern den sportlichen Dienst. Was genau dabei in der Lunge passiert, sollte jeder Asthmatiker genau verstehen, um rechtzeitig und angemessen reagieren zu können: Als erstes zieht sich die ringförmige Muskelwand der Bronchien zusammen und verengt den Durchlass für die Atemluft. Dann lassen Reizsubstanzen schnell die Bronchialschleimhaut anschwellen, was kleinere Nebenäste oft schon verschließt. Dabei bilden sie einen zähen, klaren Schleim und der macht in einem großen Teil der Bronchien die Störung komplett. Wie ein Ventil lassen die unteren Atemwege nun unter dem kräftigen Zug von Zwerchfell und Thoraxmuskulatur die Luft zwar noch herein, doch kaum wieder hinaus. Kaum lässt die maximale Lungenfüllung nach, schließen die engen Bronchien wie Ventile und halten die verbrauchte Luft gefangen. Der Thorax bleibt aufgebläht, das Zwerchfell hängt weit unten, der Sauerstoff wird knapp. Unter soviel Druck wird auch das Herz hoch belastet und jede sportliche Aktivität findet ein Ende. Spezialisten sind gefragt Ina Reinders ist deshalb in dieser Saison mehrmals ausgestiegen, zuletzt in Frankfurt bei den Deutschen Meisterschaften und in Darmstadt bei den Titelkämpfen der Studenten. Denn sie war falsch beraten. – Vor einem Jahr, bei der EM in Karlsbad fing es richtig an: das Schwimmen war auch bei den Frauen ein einziges Hauen und Stechen, auch Reinders wurde unter Wasser gedrückt. Als sie wieder hoch kam, waren die Bronchien zu, der Wettkampf zuende. Asthmaanfälle kommen blitzschnell, doch sie gehen erst nach Stunden. Es sei denn, die Betroffenen werden richtig und konsequent behandelt und das heißt auch „vorbeugen“! Nach monatelangen Frustrationen traf Reinders den Spezialisten Dr. Huonker, einen Lungenfacharzt, der auch die DTU-Athleten berät. Der kennt nicht nur das Krankheitsbild, sondern auch die Dopingproblematik im Hochleistungssport (siehe Link unten: Liste der erlaubten Medikamente). Seitdem bekommt die Wittener Vorzeige-Athletin die richtigen Medikamente und ist wieder zurück in der Spitze. „Die Angst ist weg“ Die moderne Therapie ist zweigleisig, weitere Behandlung ist den schwerer Kranken vorbehalten. Doch bei denen schließt sich der Leistungssport sowieso aus. Reinders inhaliert morgens ein Kortisonpräparat – das ist erlaubt und ärztlich attestiert. Bei Bedarf, also vor hohen Belastungen und Wettkämpfen kommt ein bronchienerweiterndes Medikament hinzu – eine Mischung aus Vorbeugung und Behandlung also. Dazu gehört auch immer eine besonders gründliche Belastungsvorbereitung, ein langes Warm-up vor dem Show-down. Das darf ruhig 15-20 Minuten in Anspruch nehmen und gewöhnt das Bronchialsystem allmählich an Temperatur und Feuchtigkeitsgehalt der Wettkampfluft. Kürzlich, beim Weltcup-Rennen in Ungarn, da spürte Ina Reinders auf dem Rad mal wieder die ersten Anzeichen der Bronchienverengung – manchmal kommt das noch vor. Doch das bronchienerweiternde Dosieraerosol lag vorbereitet auf ihren Laufschuhen und die Einnahme kostete sie gerade einmal zehn Sekunden. Dann waren die Bronchien schnell wieder offen und das Laufen ist ja bekanntlich eine Stärke der jungen Athletin aus Xanten. So etwas beruhigt natürlich enorm, denn die Luftnot belastet noch mehr, als der Ausstieg aus Ligateam und Meisterschaft. Immer noch denken viele an Doping ... Was Reinders nur immer wieder ärgert, sind die misstrauischen Blicke der Konkurrenz, wenn sie beim Inhalieren beobachtet wird oder dabei, wie sie ihr Pulver in der Wechselzone bereitlegt. „Sieh’ an, die Reinders dopt also auch“, vermutet die ehrgeizige Sportlerin deren Kommentar hinter vorgehaltenen Händen. Aufklärung wünscht sie aber nicht nur für den eigenen guten Ruf. Denn sie weiß, dass es viele Betroffene gibt, die genau aus diesem Grund eine eigene Diagnose und angemessene Behandlung scheuen. Sicher – das Attest muss bei den Verbänden vorliegen und außerdem ist die Anmeldung bei jedem Meisterschaftsrennen vor dem Start Pflicht. Aber eine zu hohe Hemmschwelle bei diesem Thema fände sie falsch und gefährlich. Asthma und Triathlon, das geht sehr wohl zusammen – bis in den Spitzensport. Wie schlimm nun Indurain, Ullrich oder Gonzales de Galdeano jemals betroffen waren, mag offen bleiben ... Der Autor Jens Richter ist Fachjournalist für Medizin und selbst seit 13 Jahren aktiver Triathlet mit drei Hawaii-Finishes (Bestzeit dort 9:02 Stunden). Als Coach und als Arzt beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit Fragen der Leistungsphysiologie im Triathlon. Besonderer Dank geht an Ina Reinders, die bereitwillig über ihre Erfahrungen berichtete.