Kurzmeldung


Übertraining: Alles bloß Kopfsache?

von Jens Richter für tri2b.com | 09.03.2003 um 22:15
Vorsicht vor Monotonie im Training! Gleichförmigkeit der motorischen Anforderungen kann offenbar zu leistungshemmenden Neuverschaltungen der Nervenzellen des Gehirns führen. So könnten übergroße Motorikzentren in der Hirnrinde andere Steuerungszentralen für körperliche Grundfunktionen, Trieb und Motivation in den Hintergrund drängen, fanden Hirnforscher und Leistungsphysiologen jetzt heraus.

Gleichförmigkeit ist suspekt 
Die charakteristischen Zeichen des Übertrainingssyndroms wie Leistungs- und Motivationsverlust, Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme, verschlechterte Bewegungskoordination und schnelle Ermüdbarkeit, Störungen der körperlichen Erholung und des Schlafes, Reizbarkeit und Depression – sie alle könnten Folgen überschießender Anpassung des Gehirns an gleichförmige Bewegungsmuster sein. 

Seit einigen Jahren ist bekannt, dass sich die Nervenzell-Bezirke viel genutzter Muskelgruppen im vorderen Hirnlappen ausbreiten, wenn die Nervenzell-Befehle sehr gleichförmig ausfallen. 

Wiederholung eigentlich leistungsfördernd 
Monotone Bewegungsabläufe sind auch für Ausdauersportarten typisch, doch wurde das Phänomen mit negativen Folgen bisher vor allem bei dynamischen Anforderungen kleinerer Muskelgruppen nachgewiesen. Zunächst hat die neue Verschaltung der Nervenzellen eine leistungsfördernde Auswirkung – das ist ihr physiologischer Sinn. 

Doch exzessive Einförmigkeit ist in der menschlichen Natur offenbar nicht vorgesehen. So ist zum Beispiel bei „Hochleistungspianisten“ die so genannte fokale Dystonie bekannt, eine Bewegungsstörung, die sich auf wenige besonders häufig geforderte Fingermuskeln beschränkt. Sie wird vom Gehirn verursacht und lässt sich durch geänderte Bewegungsgewohnheiten wieder aufheben. 

Verdrängte Triebe 
Auch bei Sportlern, die sich vor allem „zyklisch“ bewegen – dazu gehören Triathleten und die Sportler der Einzeldisziplinen – steht seit langem die allzu gleichförmige Bewegungsausführung als „Übertrainings-Auslöser“ im Verdacht. So empfehlen erfahrene Schwimmtrainer, das Technikschulungsprogramm, die Schwimmlage und die Intensitäten häufig zu wechseln und nicht zu übertreiben. 

Möglicherweise sind erstarrte Bewegungsmuster nicht die einzige Folge phantasieloser Trainingsprogramme. Nach den Erkenntnissen der Gehirnforscher sind von den Verdrängungsvorgängen in der Hirnrinde unter anderem Trieblage, Motivation und Stimmung sowie die Steuerung von Erholungsfunktionen betroffen. 

Quellen: 
Hollmann, Strüder, Tagarakis, Dt Z Sportm 54 01/2003 
Aizawa, Inase, Mushiaka et al, Experim. Brain Research 84 03/1991