Kurzmeldung


Übertrainingssyndrom: Hormone aus der Balance

von Annette Gasper/Jens Richter für tri2b.com | 07.02.2004 um 22:11
Kränklich, dauermüde, leistungsschwach und ohne Spaß am Training – das sind oft die Anzeichen des so genannten Übertrainingssyndroms. Besonders tückisch ist für Triathleten das Frühjahr, wenn die Umfänge im Training steigen und ehrgeizige Trainingslager alles abverlangen.

Die Auslöser des Übertrainingssyndroms (ÜTS) sind vielfältig und oft gar nicht genau auszumachen: Eine erheblich gesteigerte Trainingsbelastung, fehlende Erholungszeiten, beruflicher Stress und eine unausgewogener Ernährung können das fein abgestimmte Regulationssystem der Körperfunktionen, das „Vegetativum“, über das normale Maß hinaus alarmieren oder lähmen. Dann werden die sportlichen und geistigen Leistungen schlechter, die Anfälligkeit für Verletzungen und Krankheiten steigt. Unerklärliche Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit, „saure Muskeln“, Schwächegefühl und allergische Reaktionen sind oft typische Symptome. 

Harte Daten aus dem Labor 
Was genau bei einem ÜTS im Körper passiert, ist noch nicht vollständig erforscht. Neuere Untersuchungen in Freiburg und Ulm haben nachgewiesen, dass Hormone wie das Kortison, das Adrenalin und andere stoffwechselregulierende Botenstoffe eine große Rolle spielen: Bei der weitaus häufigsten Form des „sympathikotonen Übertrainings“ wird der Körper durch die hohen Belastungen zunächst in einen Dauer-Alarmzustand versetzt, später fallen dann die Konzentrationen der Hormone in der Blutbahn übermäßig stark ab und sorgen für Leistungsknick und Depression. 

Der Zustand des Übertrainings äußert sich allerdings in zahlreichen, messbaren Größen und kann mit den Methoden moderner Leistungsdiagnostik objektiviert werden: 

· Sauerstoffverbrauch: Im Übertrainings steigt er bei gleicher Leistung an. Verschiedene Untersuchungen haben eine Zunahme des Sauerstoffbedarfs von bis zu 15% ermittelt. Unter Laborbedingungen lässt sich so etwas gut messen, im Trainingsalltag merkt der Athlet eher eine Müdigkeit und Kraftlosigkeit und empfindet gewohnte Belastungen als überraschend anstrengend. 

· Laktat: Entsprechend dem erhöhten Sauerstoffbedarf steigt auch die Laktatkurve des übertrainierten Athleten steiler an als sie es im normalen Trainingszustand tun würde. Ein Laktattest ist sehr zuverlässig, wenn er unter immer gleichen Rahmenbedingungen durchgeführt wird. Vor allem die Zahl der Ruhetage und die Ernährung vor dem Test spielen eine große Rolle. Kommt ein Athlet bereits mit Vorbelastungen zur Messung, so fallen die Laktatwerte niedriger aus und cachieren das Übertraining, oder sie spiegeln eine Leistungsverbesserung vor, die gar nicht der Realität entspricht. 

· Herzfrequenz: Die Herzfrequenzwerte sind sowohl in Ruhe als auch bei Belastung erhöht. Vor allem die Erholungsherzfrequenz, also die Abnahme der Herzfrequenz nach der Belastung, ist verlangsamt. Diese Veränderung muss aber nicht zwangsläufig einen Übertrainingszustand anzeigen. Die Herzfrequenz ist nämlich ein sehr störanfälliger Parameter: Leichte Aufregung genügt, um sie steigen zu lassen. Deshalb müssen bei der Bewertung der Herzfrequenzkurve alle Einflussfaktoren berücksichtigt werden, die eine objektive Bewertung der Daten erschweren. 

· Technik: Ein selten beachteter Faktor ist die Veränderung in der Bewegungstechnik. Auch die Flexibilität und Dehnbarkeit der Muskulatur ist im Übertraining geringer. So nimmt z.B. die Effektivität der Armzüge bei Schwimmern ab, die pro Zug zurückgelegte Wegstrecke wird geringer. Gleiche Geschwindigkeit kann dann nur über eine erhöhte Frequenz erreicht werden. Im Test wird deshalb am besten die Anzahl der Armzüge auf einer bekannten Distanz, zum Beispiel einer 50 Meter Bahn im Schwimmbad, ermittelt. 

Kontrolle von außen ist besser 
Außenstehende Fachleute erkennen die Veränderungen der sportlichen Leistung oft schon mit dem bloßen Auge und können sie mit Hilfe der oben beschriebenen Parameter objektiv einschätzen. Weil auch die Psyche übertrainierter Sportler leidet, sie oft reizbar und weniger belastbar auf die Trainingsanforderungen reagieren, ist die Hilfe eines ausgebildeten Trainers für die Steuerung der Belastung ein großer Vorteil. In den jetzt beginnenden Monaten intensiven Trainings und erst recht in den Frühjahrs-Trainingslagern ist für Triathleten die Gefahr der Überforderung besonders groß. 


Die Co-Autorin Annette Gasper ist B-Lizenz-Trainerin im Schwimmsport und leitet das Institut Total Training Europe. Für tri2b.com hat Gasper bereits zahlreiche Beiträge zu sportmedizinischen Themen verfasst. Jens Richter ist Chefredakteur von tri2b.com und arbeitet als Arzt und Medizinischer Fachredakteur für das Gesundheitsportal NetDoktor.de