Ulli Winkelmann: Das letzte Rennen des Ultraman

von Robert Stadthagen für tri2b.com | 07.12.2009 um 21:47
Das Lava Java ist The Place to be an Konas Küstenlinie. Sehen und gesehen werden heißt es in dem Kultcafe nahe des Hafens. Hier auf dem Alii Drive joggen die Schönen und jedes dritte Auto hat ein Surfbrett an Bord. Die besten Strände für die coolen Wellenreiter sind nur ein paar Minuten entfernt. Und wenn man Glück hat trifft man hier im Lava Java Jack Johnson, Hawaiis umschwärmten Pop-Barden. Wenn dann noch die Delfine in Sichtweite übermütig in die Luft springen, ist das Klischee perfekt. Paradiesisch. „Hmmm, einfach lecker“, sagt Ulli Winkelmann und grinst. Ein Frühstück nach seinem Geschmack. Der Spinat-Wrap mit Schinken, Käse und Zucchini findet einen dankbaren Abnehmer in dem ausgezehrten Athleten. 24 Stunden zuvor saß der 52-Jährige noch stöhnend auf der Kante des Kofferraums seines Begleitfahrzeugs. Magenprobleme. Nicht gerade die beste Voraussetzung um bei einem Rennen wie dem Ultraman zu bestehen. Drei Tage mit Distanzen, die normale Menschen ratlos zurücklassen. Zehn Kilometer Schwimmen, 421 Kilometer auf dem Rad und 84 Kilometer Laufen. Ein Triathlon der Superlative.

14 Mal hat der Schul- und Sport-Sozialpädagoge an der Gemeinschaftshauptschule Niedersprockhövel zuvor über diese Distanz das Ziel erreicht. Die 25. Auflage der Weltmeisterschaften auf Big Island soll gleichzeitig sein letzter Ultraman sein. So hat er es im vergangenen Jahr zusammen mit seiner Lebensgefährtin Ysabel Thomas beschlossen. Die Kolumbianerin lebt zusammen mit ihrem Sohn Nico in Kona. „Wir teilen unsere beiden Welten“, erklärt Winkelmann. Dreimal im Jahr ist er in der Regel hier. Genießt den nicht enden wollenden Sonnenschein und trainiert. Doch wenn man an verschiedenen Enden der Welt lebt, ist jede gemeinsame Minute wertvoll. E-Mails sind nicht selten über Wochen die einzige Verbindung zwischen den beiden. „Wenn man dann die Wahl hat, fünf Stunden lang aufs Rad zu sitzen, oder ins Kino zu gehen ...“ Der Mann mit dem langen, dünnen, grauen Haar zieht die Augenbrauen nach oben. Der Trainingsaufwand ist einfach zu groß. Auch zu Hause in Deutschland hat der 52-Jährige längst nicht mehr die notwendige Zeit für die intensiven Übungseinheiten. Dank Winkelmann und weiterer engagierter Kollegen hat sich die GHS Niedersprockhövel zu einer Vorzeigeschule in Nordrhein-Westfalen gemausert. Winkelmann ist ein gefragter Gesprächspartner. Und ein streitbarer. Er scheut nicht davor zurück im Sinne seiner Sache auch Ministern die Stirn zu bieten. Da sind Durchhaltevermögen und ein breites Kreuz gefragt. „Die Stärke für meinen Job zu Hause hole ich mir hier beim Ultraman“, sagt Winkelmann.

Tag 1: Mehrmals kurz vor dem DNF
Am Freitagmorgen um 6.30 Uhr stürzen sich 38 Männer und Frauen in den Pazifik, um zehn Kilometer südlich wieder aus dem Wasser zu steigen. Zeit zum Durchschnaufen bleibt nicht. Es folgen 145 Kilometer auf dem Rad. Schon am ersten knackigen Anstieg wird klar, dass Winkelmann bereits am ersten Tag darum kämpfen muss, am Sonntag das Ziel zu erreichen. Der Extremsportler von der TSG Sprockhövel steigt nicht zum letzen Mal an diesem Tag vom Rad, um sich am Begleitfahrzeug auszuruhen. Rückenschmerzen und Krämpfe kommen zum unruhigen Magen, er muss sich immer wieder übergeben. Tiefe Furchen durchziehen an diesem Tag sein Gesicht, der Blick geht meistens ins Leere. „Ich kann mich in Bezug auf den ersten Tag nur an wenige unkritische Situationen erinnern“, wird er Tage später auf die Frage antworten, wie nah er vor dem Aus stand. Ein Déjà-vu für den Routinier. „Gesund ist das bestimmt nicht, was wir da machen“, stellt er fest. In solchen Momenten bewegt er sich irgendwo zwischen Koketterie und Kopfschütteln über das eigene Tun. Aber Winkelmann weiß genau, was dieser Wettkampf mit seinem Körper anstellt. Und er hat genau diese kritische Situation bei seinem letzten Start auf Hawaii vor zwei Jahren schon einmal erlebt. Damals musste er am zweiten Tag aufgeben. „Ich vertrage das Meerwasser nicht“, sagt er. „Und diesmal habe ich den halben Pazifik ausgesoffen.“ Die Folge: Auf dem ersten Teil der Radstrecke wollen weder die Elektrolytgetränke, Wasser, Cola oder die so dringend benötigten Powergels im Magen bleiben. Aber irgendwie quält sich Winkelmann hinauf in den Volcano Nationalpark. Der Blick ist versteinert, der Teint schwankt zwischen aschfahl und kreidebleich. Es dämmert schon als er kurz vor 17.30 Uhr über die Ziellinie rollt. Ab ins Hotel. Schlafen und Hoffen, dass sich der Magen beruhigt.

Tag 2: Erholung auf dem Rad
„Toast“. So lautet die kurze und knappe Ansage am Samstagmorgen. Ich habe eine Tüte mit Brot fertig gemacht“, sagt Ulli Winkelmann und hält mit einem breiten Grinsen eine Scheibe Weißbrot in die Höhe. Seine Begleiter saugen den zurückgekehrten Optimismus gierig auf. Immer wieder wird die Tüte auf den 276 Kilometern Radstrecke des zweiten Tages aus dem Handschuhfach geholt. Kochsalztabletten und Elektrolyt-Kapseln helfen, den hageren Athleten auf dem Weg entlang Big Islands Ostküste auf dem Rad zu halten. Und Winkelmann fängt wieder an, richtig zu trinken. Im Team keimt Hoffnung auf. Zumal er plötzlich richtig Fahrt aufnimmt. Meile um Meile fliegt Winkelmann dem Ziel entgegen. „Es ist schon erstaunlich, wie sich der Körper während solch eines Rennens erholen kann“, wundert er sich am Abend. Dass er nach gut 10:30 Stunden im Ziel in Hawi sein würde, hatte er beim Start am Morgen nicht für möglich gehalten. „Danach war mir klar, dass ich den Lauftag auch noch irgendwie rumkriegen würde“, meint Winkelmann rückblickend. Vor der Quesadilla mit Hühnchen wäre er am Vorabend noch davongelaufen. Nun streicht er sich zufrieden über den Bauch und lächelt. Gutes Essen und Ulli Winkelmann - das gehört untrennbar zusammen. Ob der Portugiese in Witten oder der Sushi-Meister in Kona, Winkelmann hat ein Näschen. Der Mann ist ein wandelnder Restaurant-Führer. Wer mit ihm unterwegs ist, landet nicht im Sterne-Restaurant. Er hat die Geheimtipps parat, kennt die Klitschen, in denen Originale in authentischer Atmosphäre den Gaumen verwöhnen.

Tag 3: Eiswürfel für den Ultraman
Doch vor dem nächsten Abendessen steht ein Doppelmarathon. 84 Kilometer von Hawi nach Kona. Ein schier unendlicher Lauf durch Lava-Felder und erbarmungslose Hitze. Nur beim Start um sechs Uhr morgens ist die Luft noch angenehm frisch. Als die Sonne über den Horizont klettert, sind die 30 Grad schnell erreicht. Das Eis in den Kühlboxen schmilzt unerbittlich. Zweimal müssen Winkelmanns Begleiter im Lauf des Rennens einen Supermarkt ansteuern, um kiloweise Eiswürfel nachzukaufen. Hatte Winkelmann an den Tagen zuvor seinem Magen zuliebe noch auf gekühlte Getränke verzichtet, muss jetzt alles eiskalt sein. Immer wieder spritzt sich der Extremsportler Wasser auf Arme, Beine und in die Kappe. „und so ein eiskalter Schluck Cola kommt nach Stunden in der Hitze einem Orgasmus schon sehr nahe“, beschreibt Winkelmann. Mindestens alle 1000 Meter hält das Begleitfahrzeug nun. Der erste Halbmarathon ist nach rund anderthalb Stunden geschafft. Das ist natürlich nicht durchzuhalten, aber besorgniserregend langsamer wird Winkelmann an diesem Tag nicht mehr. Im Magen rumort es zwar noch ein wenig. Und Winkelmann wird sich auch noch die eine oder andere Pause gönnen. Doch es ist längst klar, dass er sich den Zieleinlauf nicht mehr nehmen lassen wird. Nach knapp neun Stunden hat er das Zielband am Strand von Kona in der Hand. Zum 15. Mal ist Winkelmann Finisher eines Ultraman. Zum dritten Mal ist er Weltmeister in seiner Altersklasse. Der Mann von der TSG Sprockhövel strahlt. „Einen schöneren Abschluss hätte es doch gar nicht geben können.“