Agegroup-Szene Nizza: Die Taktik wurde nicht besprochen

von Jens Richter für tri2b.com für tri2b.com | 24.09.2002 um 12:00
Weltmeisterschaften und Duell unter Brüdern – die Motivation in Nizza hätte für die zwei Athleten aus dem Ruhrgebiet, Sebastian und Maximilian Longrée, kaum größer sein können. Es sollte das zweite, große Kräftemessen der Beiden in diesem Jahr werden – das WM-Rennen der Agegrouper war der Höhepunkt der Saison ...

„Wettkampf ist Wettkampf – da hören die Gemeinsamkeiten auf ...“Aus der Nähe ist es leicht zu sehen: Auch wenn die beiden Longrée-Brüder sportlich gern alles gemeinsam unternehmen – Zwillinge sind die beiden überhaupt nicht. Maximilian, der 21-jährige, angehende BWL-Student löst seine Aufgaben gern mit seiner Kraft. Im direkten Gegenüber wirkt der kleinere, 26 Jahre alte Jurist Sebastian feingliedriger, ruhiger, aber auch entschiedener. Er ist der zielgerichtete Trainingsmethodiker und überlässt die Dinge nicht gern dem Zufall.Da waren die vergangenen fünf Wochen seit den Landesmeisterschaften in Hückeswagen schon ein wenig kompliziert: Maximilian hatte dort im abschließenden Lauf das Kopf-an-Kopf-Rennen plötzlich für beendet erklärt und sich mit 1:14 Stunden für die 20 Kilometer aus dem Staub gemacht. Eine der besten Laufzeiten des Tages und Platz vier. Sebastian wurde eine Minute später Fünfter. Seitdem ging das so weiter: „In jedem harten Training machte sich Max davon und das war irgendwie schon nervig. Manchmal habe ich dabei übersehen, wie gut die Formzuspitzung doch eigentlich bei mir selber lief.“ – Eine oft wortkarge Konkurrenz mit sicher ganz unterschiedlichen Plänen für die Renntaktik an der Côte d’Azur ...Seekrankheit lässt das Bruderduell platzenAm Donnerstag vor dem Rennen ging der Flug von Düsseldorf. Und dann war das Flair in Nizza tatsächlich ganz ähnlich, wie zumindest Sebastian es auch bei den ganz großen Ironman-Rennen von Lanzarote bis Hawaii erlebt hat: mit morgendlichem Schwimmtraining auf der Wettkampfstrecke, letzten Läufen in der warmen Sonne der Uferpromenade, Weltklasseathleten überall. Nach dem Weltcup-Rennen am Vortag galt dem WM-Rennen am Sonntag besonders großes Zuschauerinteresse, denn die Langstrecke in Nizza hat eine 20-jährige Tradition. Für zart Besaitete ist der Schwimmstart an der Promenade des Anglais übrigens nichts. Steiles Ufer mit grobem, scharfkantigem Kies – man stürzt schnell und wird überrannt. Nach 800 Metern die erste Wende, ab dann geht es uferparallel nach Westen. Dann bringt der leichte Seegang Armrhythmus und Innenohr durcheinander. Schon nach 1500 Metern wurde Maximilian davon übel – Seekrankheit vermutlich. Das sollte er den ganzen Tag nicht mehr überwinden. Große Ziele verloren sich plötzlich in kleinsten Etappen vorwärts. So schnell kann es vorbei sein mit den Träumen von Medaille und Podium: Kein Druck auf dem Rad, Ernährung fast unmöglich und nach 15 Laufkilometern ging dann gar nichts mehr. Für den Nachwuchsmann, jahrelang im NRW-Landeskader erfolgsverwöhnt, war dieser zweite Versuch auf einer langen Strecke der zweite Reinfall. Im Vorjahr hatte er auf Lanzarote mit einem Raddefekt aufgeben müssen.„Mark-Allen-Taktik: Defensiv und kontrolliert zum Lauf“Bei Sebastian dagegen lief wohl alles nach Plan. „Meine Taktik war eher defensiv, dafür wollte ich am Ende so einen Mark-Allen-mäßigen Lauf hinlegen“, witzelte der Essener nachher. Dann wieder ernster: „In der letzten Phase hatte ich eine Menge im langstreckenspezifischen Stoffwechselbereich trainiert und das auch mit der Ernährung unterstützt.“ Der Mann vom „L-Carnipure-Team Tria Kettwig“ hatte denn auch nicht eine einzige schwache Phase, genau wie bei seinem bisher besten Rennen 1998 auf Hawaii, als er in der Juniorenklasse Vierter geworden war. Die Temperaturen ideal, auf der Radstrecke noch nicht allzuviel Wind, die Berge liegen ihm. – Seinen Bruder sah er dann das erste Mal auf der Laufstrecke wieder. Der saß mit bleichem Gesicht enttäuscht am Straßenrand und fand wohl wenig später den Weg ins „Medical Tent“.„Die Bronzemedaille gehört irgendwie uns beiden“Vielleicht lief es bei Sebastian dann nicht vollkommen Mark-Allen-artig, aber dennoch bis ins Finale sehr gut. Um mehr als zwei Plätze verschob sich nichts mehr – am Ende wurde er, der ältere Longrée, Dritter seiner Altersklasse, fünftbester Deutscher, Dreizehnter insgesamt. Es war sicher eines seiner besten Rennen und auch die Bestätigung, dass in den letzten Wochen in Essen wohl doch alles seine Richtigkeit gehabt hatte – mit der Form bei den letzten, harten Einheiten. Über die eine Medaille können sich angeblich beide gemeinsam freuen, wie sie recht glaubhaft versichern. Maximilian will nun im nächsten Jahr nach Hawaii ...