Der Fall Stadler: Es geht nicht nur ums Siegen

von tri2b.com | 03.01.2005 um 21:24
Ein Gewitter der Entrüstung hat sich über Normann Stadler entladen, seitdem er in einem Interview Paralympics-Leichtathlet Wojtek Czyz auf Rang fünf bei der Sportlerwahl kritisierte. Ein Missgriff mit Folgen ...

Für viele begann der Sonntagmorgen mit einem Schrecken: Beim Lesen der FAZ Sonntagsausgabe mag so manchem sportbegeisterten Leser das Frühstücksei aus der Hand gefallen sein. Wieder einmal Triathlon im Rampenlicht, wieder einmal Schlagzeilen, die für Ärger sorgen mussten - in einem ausführlichen Interview mit Normann Stadler, dem Hawaii-Sieger von 2004 und Thomas Hellriegel, der die Ironman-Weltmeisterschaften 1997 als erster deutscher Athlet gewonnen hatte. Befragt zu seinem neunten Platz bei der Wahl der Sportler des Jahres antwortet Stadler da: "Ein echtes Problem habe ich damit, daß mit Wojtek Czyz ein Behinderter vor mir steht. Da wird viel aufgebauscht. Ich habe nichts gegen diese Sportler, aber es gibt auch normalen Sport, wir werden auch nicht bei denen mitgewertet." Unglaublich dumme Sätze! Zuvor war auch der Turner Florian Hambüchen nicht gut weggekommen in Stadlers wohl tief frustrierter Analyse der Wahl, denn "schon bei Hambüchen habe ich ein Problem. Das ist ein junger, netter Kerl, aber er war einmal Siebter bei Olympia. Hambüchen hat auch von diesem tragischen Unfall von Ronny Ziesmer profitiert, auch dadurch kam Kunstturnen wieder in den Fokus der Öffentlichkeit.“ Kritik von allen Seiten Die Aussagen hätte sich Stadler im Nachhinein wohl gern verkniffen. Schon bald nach Erscheinen der FAZ griff die Bild-Zeitung das ungeschickte Interview auf. Sogar Gerhard Schröder wurde von der Boulevardzeitung bemüht. Denn schließlich hatte Stadler sich auch zu dem Vorwurf hinreißen lassen, Czyz habe in den Armen des Kanzlers für Publicity gesorgt, die Medien hätten die emotionale Szene von der Siegerehrung zur Story aufgeblasen: "... und dann kommt wegen irgendeiner Story ein behinderter Sportler ... da vorne rein, weil er in Athen den Bundeskanzler umarmt hat", so der auf Band aufgezeichnete Wortlaut. - Dabei hatte einer wie Czyz, der in Athen drei neue Weltrekorde über 100 Meter, 200 Meter und im Weitsprung aufstellen konnte, so etwas gar nicht nötig. Der Kanzler nannte Stadlers Aussage denn auch prompt eine "grobe Unsportlichkeit" und ein "ganz böses, ja bösartiges Foul". Damit hat er wohl Recht. Hinterher ist natürlich alles anders: Das Interview, geführt bereits am 14. Dezember und damit noch vor der Veranstaltung in Baden-Baden, wurde wohl von Stadler nicht autorisiert. Nach Darstellung der FAZ hat er darauf sogar ausdrücklich verzichtet. Nun klagt der Sportler, seine Aussagen seien aus dem Zusammenhang gerissen, er sei mit dem Ergebnis der Sportlerwahl und seinem neunten Platz während des Gespräches überrascht worden und hätte keine Zeit gehabt, in Ruhe über eine Antwort nachzudenken. Schlicht, das ändert wenig: Als Profi-Sportler, zumal in der exponierten Position des aktuellen Hawaii-Siegers, hätte der 31-Jährige erspüren müssen, dass sein eiliges und oft selbstgerechtes Geplapper einen Sturm der Entrüstung auslösen würde; vielleicht schon bei den Kollegen der FAZ, die allem Anschein nach wenig unternahmen, Stadler aus diesem Fettnäpfchen wieder herauszuhelfen. Stadler konnte heute gar nicht so schnell beschwichtigen, korrigieren und sich entschuldigen, wie der deutsche Blätterwald seine zunächst weiter zögerlichen und uneindeutigen Aussagen verbreitete. Fast jede Zeitung in Deutschland berichtete. Und auch die Reaktionen aus dem Volk ließen nicht lange auf sich warten. Bitterböse Emails und SMS habe er bekommen, klagt Stadler. Am Abend folgte schließlich die Suspendierung durch seinen Verein MTG Mannheim: „Die Abqualifizierung der vor ihm platzierten Czyz und Hambüchen und insbesondere die Haltung gegenüber dem Behindertensport sind völlig unverständlich und indiskutabel. Auch die nach dem Interview getroffen Aussagen von Herrn Stadler halten wir für nicht ausreichend, um die verwerflichen Aussagen zu revidieren", heißt es in einer Presseerklärung der MTG. Flucht aus Deutschland Jetzt heißt es, den neuerlichen Schaden, den der Triathlon-Sport durch Stadlers Aussagen genommen hat, einzugrenzen. Erste Schritte hat der Mannheimer unternommen: Er bemühte sich (wenn auch bisher erfolglos) um einen Kontakt zum urlaubenden Czyz. Eine Entschuldigung gegenüber dem Behinderten-Verband folgte. Völlig wiedergutmachen lässt sich der Ausrutscher wohl nicht. Und sicher nicht durch Stadlers Drohung, "wenn das so weitergeht, bin ich weg aus Deutschland", die er am Montagnachmitag gegenüber dem Sport Informations Dienst verlauten ließ. "Es geht im Sport nicht nur ums Siegen" Keine Frage: die Leistungen von Behinderten und Nichtbehinderten sind nicht miteinander zu vergleichen. Auch nicht die der verschiedenen Sportarten und Disziplinen. Jeder Sportler gibt sein Bestes, und muß – egal in welcher Sportart – für große Erfolge lange und hart trainieren, ob im Triathlon, in der Leichtathletik oder im Turnen. Da stünde uns Triathleten ein Blick über den eigenen Tellerrand wirklich gut zu Gesicht. Lothar Leder bringt es im Spiegel-Interview auf den Punkt: "Es geht im Sport nicht nur ums Siegen. Ob Sie es mir glauben oder nicht: Sport ist für mich auch ein Mittel für Verständigung: zwischen Jung und Alt, Dick und Dünn, Schnell und Langsam - sowie Behindert und Nichtbehindert."