Ironman Lanzarote 2004: Den Gordischen Knoten durchschlagen

von Jens Richter für tri2b.com für tri2b.com | 24.05.2004 um 23:53
Mit seinem offensiven Rennstil hat Steffen Liebetrau die Favoriten des IRONMAN Lanzarote aus dem Tritt gebracht und als Zweiter sein bestes Resultat erzielt ...

Sein französischer Landsmann Fabrice Biteaud hatte am Vorabend den Sieg von René Rovera beim 13. IRONMAN Lanzarote vorhergesagt. Und er ist eingetroffen, doch der Weg zum ersten IRONMAN-Erfolg war für den 36-Jährigen aus Aix en Provence kein Spaziergang. Zwischendurch roch es sogar nach einer deutschen Sensation, denn der Freiburger Steffen Liebetrau hatte seine Konkurrenten auf der schweren Radstrecke über die Vulkaninsel deutlich abgehängt. Für gut zwei Stunden sind die Tausendstel Sekunden in Monte Carlo nicht mehr wichtig: Als am Samstagnachmittag kurz vor 14 Uhr der große Deutsche zum dritten Mal vorbeirennt und weiter mit über sechs Minuten in Führung liegt, werden die Rundenzeiten von Coulthard und Trulli, Schumacher und Räikkönen im Qualifying zum Großen Preis von Monaco zur Nebensache. „Wir Schwarzwälder müssen zusammenhalten“, sagt einer der drei älteren Sportexperten an der Strecke, und der Zweite meint: „Der Schumi liegt hinten, aber dieser Steffen Libero, der kann es heute packen.“ Natürlich hat auch der Franzose René Rovera viele Fans unter den Zuschauern entlang der gut fünf Kilometer langen Wendepunktstrecke an den Stränden von Puerto del Carmen. Der Spanier Felix Javier Martinez Rubio sowieso – aber vor allem der Kampfgeist des 31-jährigen Deutschen begeistert heute die vielen Urlauber in Lanzarotes Touristenzentrum. Längst hat sich herumgesprochen, dass „der Deutsche den Anderen doch gleich am Anfang abgehauen“ und mit fast sieben Minuten Vorsprung aus den Bergen zurückgekommen ist. Soviel Mumm, das begeistert. Kultiviertes Understatement Morgens vor dem Start, als Steffen Liebetrau im Halbdunkel seine Energieriegel und Trinkflaschen am Rennrad richtet, klingt er nicht, als ob er vom größten Erfolg seiner Karriere träumt. Ordentlich übernommen habe er sich mit dieser Vielstarterei im vergangenen Jahr, als er bei kleinen und größeren Rennen versucht hat, mit Preisgeldern sein Auskommen als Profitriathlet zu sichern. Dann habe sich die Kniesehne chronisch entzündet und sein gesamtes Wintertraining durcheinandergebracht: „Auf dem Rad läuft’s gut, da werde ich versuchen, an die Spitze zu fahren. Aber eigentlich wollte ich mal richtig gut laufen – das habe ich hier noch nie geschafft.“ – Immerhin: Bei allem kultivierten Understatement, ein leises Flackern ist in Liebetraus Augen schon auszumachen. Und dann läuft es schon im Wasser besser als erwartet für den Freiburger, der sich gleich in einer Sechsergruppe absetzen kann. Vorn macht zunächst der Italiener Diego Gazzari Druck, später übernehmen die Altersklassenathleten Nicolas Tabarant und Michael van der Hoeven die Intiative. Als Dritter kommt Ulf Bartels an Land, aber schon in der Wechselzone stürmt Liebetrau vor auf Position drei und 15 Radkilometer später ist er vorn. In den Bergen nicht zu schlagen Vor den Feuerbergen, das hatte sich der Franzose René Rovera vorgenommen, wollte er vorn dran sein, um das Tempo zu kontrollieren. Aber genau als der Führende nur noch einen Steinwurf entfernt ist, 15 Sekunden, um genau zu sein, beginnen die langgezogenen Steigungen im Südwesten der Insel und Rovera fällt wieder zurück. „Im Bergauf hatte ich gegen den Deutschen überhaupt keine Chance, da konnte ihn heute keiner schlagen“, erzählt er später den Journalisten. Und Liebetrau kennt den mörderischen Kurs hinauf in die Feuerberge und zu den Miradores wie seine sprichwörtliche Westentasche. Am höchsten Punkt des Tages, dem Mirador del Rio nach 118 Rennkilometern, liegt Rovera sieben Minuten hinten, Bruno von Flüe aus der Schweiz und der Vorjahres-Fünfte Ain-Alar Juhansen 9:30, der spanische Favorit Martinez Rubio fast 12 Minuten. Vor allem dem Spanier ist der Frust ins Gesicht geschrieben – erst später im Ziel will er die Situation erklären. „Ich habe beim Start gehörig einen auf die Mütze bekommen und dann auch noch Wasser geschluckt. Das hat mich aber nicht weiter nervös gemacht, weil ich dachte, im Radfahren und Laufen machte mir hier keiner was vor. Dann war ich überrascht, wie schnell alle fuhren. Ich bin hart gefahren, aber ich kam einfach nicht nach vorn.“ Rovera mit Rechenschieber Rovera hatte sich umgehört: „Man hat mir erzählt, dass Liebetrau den Marathon nicht schneller als 3:05 Stunden rennen kann und in Nizza auch bei der kürzeren Laufstrecke eingebrochen ist. Gut - und meine schwächste Marathonzeit ist 2:57 Stunden, also durfte ich ihn sieben Minuten weg lassen und es würde noch reichen.“ – Zur Vorsicht macht der Franzose auf den letzten, flachen Radkilometern noch einmal Druck, aber es nützt nichts. Und dann sieht es sogar lange so aus, als könne auch Liebetrau heute eine Marathonzeit deutlich unter drei Stunden laufen. „Als ich am dritten Wendepunkt auf die Uhr schaute, hatte sich immer noch nichts getan", erinnert sich Rovera, "aber kurze Zeit später riefen mir die Landsleute am Straßenrand zu, dass ich heran komme." – Kurz nachdem Michael Schumacher in Monte Carlo die Pole Position abgeben muss an den Renault-Mann Jarno Trulli – für die drei Männer aus dem Schwarzwald eine herbe Enttäuschung – zieht René Rovera vorbei an Steffen Liebetrau. Vor ihren Augen. Der Knackpunkt Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Liebetraus Moral in einer solchen Situation bricht. Oft genug in seiner Ironman-Karriere ist der Freiburger im letzten Drittel eines Laufs noch weit zurückgefallen, so etwas wie der Gordische Knoten in der Laufbahn des 33-Jährigen. Jetzt wittert auch der Spanier Rubio seine Chance, und er nutzt sie. Bei Kilometer 34 ist er dran am Deutschen, kurz vor der letzten Wende zieht er ebenfalls vorbei und ist nach einem fast aussichtslosen Kampf auf dem Rad nun doch Zweiter. Die Freude dauert allerdings nur Minuten. Offenbar hat der Spanier überdreht, vielleicht im Eifer des Zweikampfs die Cola verschüttet, die er besser hätte trinken sollen. Von einer Minute zur nächsten bricht er ein, und als Liebetrau zum letzten Mal vorbeiläuft an seinen drei Fans aus dem Schwarzwald, ist auch deren Tag gerettet: Mit Platz zwei im 13. IRONMAN Lanzarote feiert der Freiburger, der sich auf den letzten Kilometern völlig verausgabt, den größten Erfolg seiner Laufbahn. Siegesrede muss in die Schublade Dritter, wie im Vorjahr, wird fast zwei Minuten später Felix Martinez Rubio, der seine bereits vorbereitete Siegesrede erst einmal in die Schublade legen muss. Eigentlich hatte der 33-jährige Familienvater seine Frau und die kleine Tochter überraschen und seine Karriere mit dem fast sicher geglaubten Sieg in Puerto del Carmen beenden wollen. Das hat er nun auf nächstes Jahr verschoben.