Ironman WM-Nachlese: Löst Frankreich Deutschland als Triathlon-Langdistanz-Nation ab?
Ansonsten erübrigt sich der Vergleich. Hier Nizza mit seinen über 300.000 Einwohnern, wo das Leben annähernd 24 Stunden am Tag pulsiert, dort das kleine beschauliche Kailua-Kona, in dem 50 Wochen im Jahr nicht wirklich viel passiert. Hier die Promenade des Anglais, in der man die Triathleten wie in einem Wimmelbuch in der Masse der Touristen und Sonnenanbeter regelrecht suchen musste. Dort der Alii Drive und der Pier, die in der Ironweek zum Laufsteg der Triathlon-Szene wird. Jeder der schon mal beim Ironman Hawaii dabei war, wird diese ganz spezielle Atmosphäre im Herzen behalten, die absolut einzigartig ist. Das Nizza-Feeling gibt es zudem auch im Rahmen des „normalen“ Ironman France.
Das französische Drehbuch
Das sportliche Nizza-Drehbuch hätte aber wohl auch kein Starregisseur besser geschrieben. Da wird die Ironman WM erstmals außerhalb Hawaiis bzw. der USA ausgetragen und ins französische Nizza verlegt und erstmals gewinnt mit Sam Laidlow auch ein Franzose den WM-Titel. Laidlow wurde trotz seines zweiten Platzes in Kona 2022 und Rang acht bei der im Mai 2022 in St. George nachgeholten 2021er Ironman-WM nicht unbedingt als Topfavorit gehandelt. Zu holprig verlief nach gutem Start (Sieg bei der Challenge Gran Canaria) seine Saison, in der er sich zudem in der finalen Nizza-Vorbereitung auch noch eine Corona-Infektion einfing.
Entsprechend erwarteten selbst viele Triathlon-Kenner, dass Laidlow nach seiner wagemutigen Radflucht durch die Ausläufer der Seealpen im Marathon dafür bezahlen muss. Doch der in Großbritannien geborene 24-jährige Franzose zeigte keine wirkliche Schwäche und durfte sich im Ziel als jüngster Ironman Weltmeister der Geschichte feiern lassen.
Zum Heulen: Als erster Franzose gewinnt Sam Laidlow den Ironman WM-Titel - © PetkoBeier.de
Dass die „Equipe-Tricolore“ beim Heimrennen groß zuschlagen könnte, kam nicht von ungefähr. Schon in Kona 2022 waren neben Laidlow auch Leon Chevalier und Clement Mignon in die Top Ten gelaufen. Chevalier als Fünfter und Mignon als Zehnter bestätigten in Nizza ihre Zugehörigkeit zur Langdistanz-Weltspitze, außerdem schaffte auch noch Arthur Horseau als Sechster den Sprung in die Top Ten und auf Rang zwölf folgte mit Arnoud Guilloux schon der nächste Franzose. Bis dato war der fünfte Platz von Cyril Viennot im Jahr 2014 die beste französische Ironman WM-Platzierung und jetzt erinnert deren Auftritt an frühere deutsche Jubelarien auf dem Alli Drive, wie z.B. 2016 mit fünf Germans in den Top Sieben.
Lange liefert die Leistung – Frodeno die Emotionen
Wäre es nach dem Drehbuch vieler deutscher Triathlon-Fans gegangen, dann hätte Jan Frodeno bei seinem Abschiedsrennen seinen vierten Ironman WM-Titel gefeiert und wäre damit auch der älteste Ironman-Weltmeister der Geschichte gewesen. Doch der Tag, „an dem Erfolg unvermeidbar sein sollte“, verlief anders. Der 42-Jährige musste nach gutem Schwimmen auf dem Rad früh die Gruppe der Favoriten ziehen lassen und machte anschließend den Marathon zur emotionalen Abschiedsvorstellung. Mit dem falschen Bein aufgestanden, leicht gesundheitlich angeschlagen, zu viel Rummel oder zu viele Emotionen im Spiel? Oder von allem ein bisschen? Egal – Jan Frodeno bleibt auch ohne ein sportlich zählbares Nizza-Ergebnis die herausragendste Triathlon-Persönlichkeit der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte.
>> Zur Bilderserie: Danke Jan - das letzten Rennen von Jan Frodeno ...
Sportlich war dafür einmal mehr auf Patrick Lange Verlass. Der zweimalige Ironman Hawaii-Sieger ließ auf seine Vorhersage – „ich habe die Form für den dritten WM-Titel“ – entsprechende Taten folgen. Der 37-jährige vertraute trotz seines großen Rückstands nach dem Radfahren auf seine Laufstärke und lief in Nizzas Gluthitze mit einem sensationellen 2:32er-Marathon noch bis auf Rang zwei nach vorne.
Das sportliche Ende einer Erfolgstory: Jan Frodeno mit Freund und Manager Felix Rüdiger - © PetkoBeier.de
Nizza-Top Ten mit den Kona-Zeitabständen
Dahinter klaffte, wie zu erwarten, ein großes Loch zu den drei weiteren deutschen Ironman-WM Startern. Leonhard Arnold und Jonas Hoffmann zeigten bei ihrer Ironman WM-Premiere auf Rang 19 und Rang 20 sehr solide Rennen, die Hoffnung auf mehr machen. Franz Löschke kam als 25ster, einen Platz hinter Jan Frodeno, ins Ziel und blieb in Summe aber unter seinen Möglichkeiten. Hoffmann, der insgeheim mit einer Top 15 Platzierung liebäugelte, fehlten dazu am Ende gut zehn Minuten. Zur Ironman WM Top Ten-Platzierung, die die Erfolgsbilanz eines jeden Langdistanz-Triathleten entscheidend aufwertet, waren es sogar 20 min. Welten in der immer enger zusammenrückenden Weltspitze. Innerhalb von nur 18 min kam in Nizza die Top Ten ins Ziel. Trotz der etwas langsameren Zielzeiten im Vergleich zu Kona und ohne die „Radgruppen-Dynamik“, die auf Big Island den Rennverlauf entscheidend beeinflusst und für geringere Zeitabstände beim Radfahren sorgt. Zum Vergleich: In Kona kam die Männer Top Ten seit 2014 immer innerhalb von 16 min (2014/2016) und 22 min (2019) ins Ziel.
Alles gegeben für Rang 19: Leonard Arnold wird zweitbester Deutscher bei der Ironman WM in Nizza - © PetkoBeier.de
Nur noch Lange als Kona Podiumskandidat?
Mit Blick auf Kona 2024 wird sich an der Tatsache wohl nichts Entscheidendes ändern, dass nach dem Karriereende von Jan Frodeno und Sebastian Kienle nur Patrick Lange ein sicherer Tipp auf das Podium und die Topränge auf dem Alii Drive bleibt. Seit dem Jahr 2017 gingen bis auf den zehnten Platz von Boris Stein (2017) und den fünften Platz von Florian Angert (2022/St. George) alle Top Ten Platzierungen auf das Ironman-Erfolgstrio Frodeno, Kienle und Lange.
Vor allem Angert wäre es zu wünschen, dass er die diesjährige Seuchensaison schnell hinter sich lässt und 2024 wieder sein volles Potential abruft, dann gehört auch er zu den Top Ten-Anwärtern in Kona. Die hinterlassenen Fußstapfen von Frodo und Sebi sind nicht nur sportlich riesengroß. Diese zu füllen wird nicht von heute auf morgen möglich sein. Auf der Mitteldistanz haben wir zum Glück mit dem aktuellen Ironman 70.3 WM-Triumvirat Rico Bogen, Frederic Funk und Jan Stratmann, sowie dem in dieser Saison lange verletzten Mika Noodt gleich mehrere deutsche Hoffnungsträger, die in Zukunft auch auf der Langdistanz für Furore sorgen könnten. Und das ganz egal ob die Ironman WM in Kona, Nizza, St. George oder anderswo ausgetragen wird.