Nicole Leder: "Der Schock überwiegt immer noch"

von Steffen Gerth für tri2b.com für tri2b.com | 11.11.2004 um 18:46
Am Tag nach dem Doping-Geständnis der Braunschweigerin Nina Kraft befindet sich die deutsche Triathlonszene im Ausnahmezustand. Die zweifache Roth-Siegerin Nicole Leder befürchtet schweren Schaden für den Sport ...

Es ist der bisher größte Dopingskandals im Triathlon: Die herausragende Langstreckentriathletin der letzten Jahre, die Braunschweigerin Nina Kraft, war gedopt. Den sensationellen Doppelsieg deutscher Triathleten, der den Sport in den vergangenen Wochen aus seinem Nischendasein ans Licht zu holen schien, hat es nie gegeben. In der korrigierten Rangliste des IRONMAN Hawaii steht die Schweizerin Natascha Badmann ein weiteres Mal an der Spitze - und Nicole Leder in die Top-Ten. tri2b.com: Herzlichen Glückwunsch, Frau Leder, durch Nina Krafts nachträgliche Disqualifikation auf Hawaii rutschen Sie von Platz elf auf zehn. Damit haben Sie nun doch ihren Startplatz für Kona 2005 sicher – und obendrein noch 5000 Dollar Preisgeld, die es für Rang zehn gibt. Die Kunde von Nina Krafts Dopingvergehen müssten Sie also mit Freuden aufgenommen haben? N. L.: Könnte man so sehen, denn ich profitiere ja von diesem Vorfall am meisten. Doch für Schadenfreude gibt es überhaupt keinen Grund. Das ist eine ganz schlechte Nachricht für unseren Sport, der Schock überwiegt bei mir immer noch. tri2b.com: Auch einen Tag nach der Nachricht? N. L.: Natürlich. Ich bin zwar nicht naiv und weiß nur zu gut, dass in Sportarten, in denen viel Geld zu verdienen ist, auch gedopt wird. Dass es jetzt aber eine Kollegin aus dem eigenen Land erwischt hat, eine die man kennt, mit der man trainiert hat, ist schon ein Hammer. Plötzlich werde ich auch als Athletin ganz anders angesehen. Plötzlich klingelt bei mir das Telefon und ich soll den Journalisten sagen, was ich von dem Vorfall halte, ich werde von Freunden angesprochen und stehe irgendwie unter allgemeinem Rechtfertigungsdruck. tri2b.com: Warum dieser Schock? N. L.: Weil jetzt mit einem Schlag die Wahrheit ans Licht gekommen ist. Das ist ein Skandal – alle Profis stehen ab sofort schlecht da. So wie bei Olympia, als man auch immer darauf gewartet hat, dass der nächste als Dopingsünder überführt wird. tri2b.com: Hätten Sie Nina Kraft zugetraut, dass sie dopen würde? N. L.: Sehr schwere Frage. Prinzipiell muss das jeder mit sich selber ausmachen. Ich will auch nicht über Nina richten, das steht mir nicht zu. Ich kenne ihre Beweggründe nicht, das war ganz allein ihr Ding. tri2b.com: Hatte sie nötig, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen? Denn augenscheinlich war sie ja in diesem Jahr allen meilenweit voraus? N. L.: Es ist müßig, darüber zu diskutieren. Nina war uns um Lichtjahre voraus – aber jetzt beginnen eben die Diskussionen, warum. Ich bin keine medizinische Expertin, und deshalb beteilige ich mich an diesen Diskussionen nicht. tri2b.com: Katja Schumacher ist positiv getestet worden, dann Rutger Beke, jetzt Nina Kraft. Drei prominente Fälle. Ist das die Spitze des Eisbergs im Dopingsumpf Triathlon? N. L.: Ob jetzt noch mehr Bomben platzen werden, weiß ich nicht. Hoffentlich nicht. Wahrscheinlich kommt jetzt mehr ans Licht, weil die Kontrollen schärfer sind. Aber eben nur im Spitzensport. tri2b.com: Das heißt, im Breitensport wird noch mehr manipuliert? N. L.: Ich denke, dort gibt es ebenfalls eine kriminelle Energie. Wer bei Marathonläufen betrügt, indem er ein paar Stationen mit der U-Bahn fährt, der nimmt auch verbotene Mittel ein. tri2b.com: Was droht jetzt der Sportart? N. L.: Ich habe die Befürchtung, dass diese Dopingvorfälle für mögliche Sponsoren abschreckend wirken. Wir hatten ja nach dem deutschen Doppelsieg von Hawaii eine kleine Aufbruchsstimmung, die dürfte nun weg sein. In der nächsten Zeit ist Doping das vorherrschende Thema im Triathlon, sportlich tut sich derzeit nichts, es ist ja Winterpause. Also wird das andere ausgeschlachtet. tri2b.com: Welche Konsequenzen können und müssen die Athleten ziehen? Eine gemeinsame Aktion? N. L.: Das denke ich doch, irgendetwas müssen wir unternehmen. Noch steht jeder unter Schock, aber wenn der abgeklungen ist, müssen wir uns zusammen tun. Auch mit dem Verband. Vor allem darf nicht passieren, dass nun die Szene auseinanderdividiert wird nach dem Motto: Nur die Langstreckler dopen, die Kurzstreckler sind alle sauber. Wir sind alle Triathleten.