Patrick Sturm: "Ein ums andere Mal Tränen in den Augen"

von P. Sturm/tri2b.com für tri2b.com | 17.07.2004 um 21:43
Vorfreude, Wachträume, Nervenflattern, und ein bewegender IRONMAN-Tag: In Patrick Sturms Erlebnisbericht dürfte sich auch so mancher Mitstreiter wiedererkennen ...

Vorfreude, Wachträume, Nervenflattern, und dann ein bewegender IRONMAN-Tag: Die Erlebnisse mit „seinen“ Kids vom Adelgundenheim, seine Gedanken und die Geschehnisse rund um seinen ersten IRONMAN hat der Münchner Patrick Sturm in einem spannenden Erlebnisbericht niedergeschrieben. In seinen detaillierten Schilderungen dürfte sich so mancher IRONMAN-Neuling wiederkennen. 09.07.04 Noch zwei Tage bis zum Rennen Schnell noch den halben Tag gearbeitet und dann endlich die Startunterlagen am Frankfurter Römer abgeholt. Superorga, da geht alles reibungslos. Ich krieg sogar eine echt schicke blau-weisse Ironmantasche, die ich stolz aus dem Race-Office heraustrage. Die riesige Tribüne auf dem Römer ist schon aufgebaut, der Athletes Garden scheint auch schon fertig. Gänsehautfeeling! Werde ich wirklich in etwas mehr als 48h hier als Ironman Debütant ankommen? Zurück in Darmstadt werden erstmal die Startunterlagen inspiziert. Die Startnummer, auf der groß „1931“ und darunter „Patrick“ steht, der Zeitmesschip, die Wechselbeutel sowie jede Menge Aufkleber für Wechselbeutel, Fahrrad, Helm etc. Der Blutdruck steigt, ich werde nervös. Das Packen der Wechselbeutel dauert diesmal ewig, nicht nur, weil die Wetterprognosen sehr unsicher sind, sondern auch, weil sich z.B. eine fehlende Luftpumpe im Bike-Wechselbeutel auf 180km sehr viel eher rächen kann, als bei Distanzen um die 40 Kilometer, wie ich sie bisher erlebt habe. Letztendlich ringe ich mich dazu durch, zwei Paar Socken bzw. zwei Shirts einzupacken und die Entscheidung für das ein oder andere Utensil dann erst beim Wechsel zu treffen – eine gute Herangehensweise, denn sonst würde ich heute wahrscheinlich immer noch unentschlossen vor meinen Wechselbeuteln sitzen. Dann noch ein Anruf vom Triathlon Magazin, die am nächsten Tag noch ein paar Fotos von den Kids und mir beim Rad-Check-In machen wollen. „Klar“ sage ich und hoffe, dass mit den Terminen alles so hinhauen wird, wie geplant. Dann ist es auch schon Abend und die 14 Kids und 4 Betreuer aus dem Adelgundenheim München treffen in Darmstadt ein. Die Freude bei den Kids ist groß über die luxuriöse Unterbringung im Ramada Treff Hotel Darmstadt, die uns der Hoteldirektor, Herr André Schulz, für die Aktion „Ironman for climbing Kids“ zur Verfügung gestellt hat. Dann geht’s mit allen zusammen zum PizzaHut. Nach dem Essen noch ein Plausch mit den Betreuern an der Hotelbar („…4 Bier und für mich bitte eine Apfelsaftschorle!“). Huch, jetzt ist es dann doch ein Uhr geworden, dabei ist doch die vorletzte Nacht vor dem Wettkampf die Entscheidende! Naja, dafür ist ja Frühstück erst um 10 Uhr denke ich mir, und schlummere erstaunlich gut.

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10.07.04 Der Tag vor dem Rennen Um 8 Uhr wache ich auf und denke: „Sieben Stunden Schlaf, ist das denn nicht zuwenig?“ Na egal, an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Also noch mal kurz zur letzten Feinabstimmung aufs Rad geschwungen und 20km geradelt. Prima, Rad läuft tiptop. Gegen 10 Uhr ist es dann erstmal mit der Ruhe vorbei - mit einem geselligen Frühstück wird in den Tag gestartet. Leider ist das Wetter dermaßen bescheiden, dass der Freibad+Grillplan flugs in einen Besuch des Weinheimer Spaßbads „Miramar“ umfunktioniert wird. Zwar meckert der eine oder andere auf der Fahrt zum Schwimmbad, kaum sind wir jedoch drin, sind alle begeistert und stürzen sich ins Wellenbad oder wagemutig die z.T. halsbrecherischen Rutschen hinunter. Ich begnüge mich vorsichtshalber mit den harmloseren Rutschen und ein paar entspannten Schwimmzügen im Wellenbad - bloß heute nichts mehr verrenken! Während die Kids noch munter weiterplanschen, fahre ich derweil schon mal zurück ins Hotel, schnappe meine Wechselbeutel, hole „Teil eins meines Ironman Supportteams“ (meine Freundin Tanja) vom Bahnhof ab und mache mich auf den Weg zur Wechselzone 1 an den Langener Waldsee. Vor Ort dann Parkplatznot und weite Wege zur Wechselzone, na ja, etwas Bewegung am Vortag schadet ja nie - trotzdem, die Nerven liegen so langsam blank. Während ich gerade noch pünktlich zum vereinbarten Termin mit dem Triathlon-Magazin erscheine, sind die Kids wohl noch im Schwimmbad. Ich vertröste die Redakteurin und höre stattdessen meine Mailbox ab. Keine gute Idee: mein Kumpel Flummi (Teil zwei meines Ironman Supportteams) teilt mir mit, dass er zwar im Zug nach Frankfurt sitzt, aber den versprochenen Ersatzschlauchreifen in München liegenlassen hat. Der Blutdruck steigt jetzt doch merklich – Gott sei Dank gibt’s an der Wechselzone eine Bikestation, bei der ich einen Schlauchreifen ergattern kann. Der ist natürlich brandneu und weder vorgedehnt, noch vorgeklebt. Wie ich den also im Wettkampf sicher montiert kriegen soll – keine Ahnung, ist in dem Moment aber auch egal, dann darf ich halt keinen Plattfuß kriegen. Und dann kommen endlich die Kids, so dass wir den Fototermin doch noch durchziehen können. Zu meiner Überraschung haben sie nicht nur T-Shirts an mit meiner Nummer und meinem Namen drauf, sondern auch ein Käppi mit der Aufschrift „Iron Patrick 2004“. Sie stimmen lautstark „Es gibt nur einen Patrick Sturm“ an. Ich bin total gerührt und freue mich nun so richtig darauf, den Kids mit einem ordentlichen Wettkampf ein sportliches Vorbild zu werden. Nach den Fotos schnell den Rad-CheckIn in der Wechselzone erledigt. Da geht dann alles ganz gut über die Bühne. Der blaue Beutel wird vor dem Wechselzelt aufgehängt und der Rote kommt in eine Box zu den anderen 2199 und wird dann morgen hoffentlich zum Wechsel Rad-Lauf am Frankfurter Mainkai auf mich warten - und wehe, wenn nicht! Ich spreche mich nochmals mit den Betreuern ab, geplant ist, dass Sie mit den Kids beim Schwimmwechsel, bei „The Hell“ in Maintal und später irgendwo an der Laufstrecke stehen. Na, ich bin gespannt, ob das hinhaut! Abends kommen dann Flummi (der erstmal einen Satz heiße Ohren für den vergessenen Schlauchreifen bekommt) und Florian (Teil drei meines Ironman Supportteams) aus München hinzu. Mit dem nun vollständigen Supportteam geht’s direkt zum Italiener, Riesenportion Pasta vertilgt und die logistischen Details für den Wettkampf besprochen. Sie wollen beim Schwimmstart und beim Schwimmwechsel dabei sein, dann auf der ersten Radrunde bei KM 70 bei „Burg Meile“ in Friedberg, auf der zweiten Runde bei KM 110 bei „The Hell“ in Maintal-Hochstadt und beim Laufen halt irgendwo, wo Stimmung ist. Da stellt sich die Frage, wer morgen das härtere Programm hat, mein Ironman Supportteam oder ich! 11.7.04 Der längste Tag des Jahres Um 4.15 klingelt der Wecker. Macht nix, bin eh schon wach. Die erste Aktion ist der Blick aus dem Fenster. Die Erleichterung ist groß, nur leichte Bewölkung und fast Windstille! Unter diesen Bedingungen sollte die Strecke heute für mich zu bewältigen sein. Angst vor der enormen Herausforderung habe ich nicht, schließlich habe ich ordentlich trainiert. Trotzdem, die Gemütslage muss ich zumindest als „konzentriert und respektvoll“ beschreiben. Zwei Bananen, zwei Müsliriegel und einen Liter Wasser später geht’s um 5:20 Uhr dann mit dem Auto zum Langener Waldsee. Während Flummi und Flori einen Parkplatz suchen, machen sich Tanja und ich schon mal auf den Weg zum Start – ich weiß ja noch von gestern, dass es ein ganz schöner Fußmarsch wird. Je näher wir dem Startbereich kommen, umso stiller werde ich. Ich sehe die Startleine, die Bojen, den Landgang nach der ersten Schwimmrunde und den Kran in 60m Höhe, von dem aus wohl wieder phänomenale Bilder vom Schwimmstart geschossen werden. Die Musik wummert bereits und ich habe den Eindruck, so ziemlich der letzte zu sein. Überall stehen schon die Eisenmänner/-frauen in spe in den Neoprenanzügen, die wir bei 18,5° Wassertemperatur wohl auch gut gebrauchen können. Nur einer von 2000 Startern hat es geschafft, seinen Neo im Hotel liegenzulassen, ob der wohl trotzdem gestartet ist? Naja, ist eine willkommene Auflockerung in der doch sehr angespannten Atmosphäre. Ich verabschiede mich dann von Tanja und begebe mich in den Startbereich. Den wärmenden Neo an, schnell einen gewohnt brechreizverursachenden Dixiklo-Besuch und dann ab in den See. Denkste! Denn der Einstieg in den See ist dieses Jahr so schmal, dass sich ein ziemlicher Stau entwickelt. Als dann der Sprecher fälschlicherweise bereits im Wasser befindliche Sportler dazu auffordert, nochmal an Land zu kommen und über eine Erfassungsmatte zu laufen, ist das Chaos komplett. Mir ist das zu dem Zeitpunkt alles egal. Es ist bereits 7 Uhr durch als ich endlich ins erfrischende Nass steige und den Startschuß will ich ja nun wirklich nicht verpassen. Ich paddel also direkt nach links außen in der Startzone. Bloß beim Schwimmen keine Tritte und Schläge kassieren lautet die Devise, denn mit gebrochenem Nasenbein oder verstauchtem Fuß macht der Rest vom Ironman keinen richtigen Spaß mehr… 3,8 Kilometer Schwimmen So gegen 7:05 haben sich dann doch alle Starter mehr oder weniger im Wasser eingefunden und wie die Tradition es will, ertönt die Nationalhymne. Das hat was Heroisches denke ich mir, aber da fällt auch schon der Startschuss. Das Wasser um mich herum fängt an zu brodeln. Es ist einer der faszinierendsten Momente überhaupt – es sieht fast aus wie ein riesiger Delphin-Schwarm – nur nicht ganz so elegant. Bloß nicht zu schnell angehen sage ich mir immer wieder und versuche möglichst entspannte lange Züge zu machen. Das gelingt die ersten 200m auch ganz gut, dann habe ich a) die Schwimmbrille komplett voller Wasser b) bereits ca. einen halben Liter beste Langener Waldseequelle getrunken und c) bin umzingelt von anderen wild planschenden Eisenmännern in spe. Naja, irgendwie geht’s dann doch, ich schwimme taktisch klug in so manchem „Wasser-schatten“ - das spart fast soviel Kraft wie beim Windschattenfahren auf dem Fahrrad - und bei Engstellen (z.B. Bojenumrundung) mache ich lieber einen weiteren Bogen als auf der Ideallinie buchstäblich überschwommen zu werden. Nur meine Schwimmbrille will auf dem rechten Auge heute partout nicht richtig dicht halten, was mir die Sicht auch für die ersten zwei Stunden auf dem Rad noch etwas benebelt. Ich bin so beschäftigt mit Wasser-aus-der-Brille-entfernen, Im-Wasserschatten-Schwimmen und Tritte-ins-Gesicht-vermeiden, dass im Nu die erste Hälfte vorüber ist. Nach dem kurzen 15 Meter Landgang also wieder rein ins Getümmel und noch ne halbe Stunde Schwimmen. Zum ersten Mal bei einem Triathlon finde ich Gefallen am Schwimmen. Solange ich schön entspannt Dreierzüge schwimmen kann, hat es was richtig Beruhigendes an sich, außerdem spüre ich schon, dass die Schwimmzeit nicht so katastrophal ausfällt wie ursprünglich erwartet – eine Uhr habe ich beim Schwimmen nicht dabei, um mich nicht jetzt schon zu stressen. Und da ist auch schon die letzte Boje umrundet, nun noch 600m bis ins Ziel. Diese letzte Gerade zieht sich dann doch etwas, aber egal, meine stärkeren Disziplinen kommen ja noch! Und da bin ich auch schon an Land, durch das Zuschauerspalier den Berg hoch, grad noch Tanja, Flummi und Flori gesehen, den Wechselbeutel gepackt und ab ins Wechselzelt. Eine freundliche Helferin hilft mir beim Ausziehen des Neoprenanzugs, immer wieder eine tolle Sache. Ich entscheide mich für die dick gepolsterte Radhose und nehme auch die Regenjacke mit – man kann ja nie wissen. Schnell die Socken und die Schuhe an und auf zum Fahrrad. Dort Brille auf, Helm auf, Startnummer umgeschnallt, Tacho angestellt und flink zum Ausgang gejoggt. Ich schau auf die Tachouhrzeit: 8:23. Wahnsinn! 1:13 incl. Wechsel, eigentlich waren bis hierhin 1:25 geplant – ich liege also gut in der Zeit. 180 Kilometer Radfahren Doch anstatt nun diesen „Vorsprung“ erstmal zu genießen ruft die ehrgeizige innere Stimme nach mehr. Also lege ich nochmal ein Ritzel zu und fahre mit über 40 km/h gen City. Cooles Gefühl, jetzt einen nach dem anderen einzuholen, während ich umgekehrt nur sehr vereinzelt von anderen Teilnehmern überholt werde. Allmachtsfantasien machen sich breit – eine Radzeit unter 5.15 Stunden erscheint mir plötzlich machbar. Die ersten Steigungen „The Beast“, „The Hell“ und „Hühnerberg“ nehme ich sehr locker, bergab mache ich so richtig Dampf. Einziges Problem ist das Gedränge auf der Strecke: natürlich kenne ich die Triathlonregeln wie z.B. das Rechtsfahrgebot - nur wenn die Teilnehmer noch nicht mal eine Radlänge Platz lassen, ich an einem 50er Pulk vorbeipedaliere und dann vom Wettkampfrichter ermahnt werde, dann werde ich schon etwas sauer. Naja, es bleibt bei der Ermahnung, während viele andere Teilnehmer (zurecht!) im Dutzend wegen Windschattenfahrens verwarnt werden und sich dann erstmal an der nächsten Penalty Box für sechs Minuten ausruhen dürfen! Aus meiner Sicht werden noch viel zu wenige rausgezogen und für mich erstaunlich, dass sehr oft auch bereits verwarnte Athleten grenzwertig am Hinterrad Ihres Vordermanns hängen und so Ihre Disqualifikation provozieren. Aber das ist eine philosophische Frage, ob man eher zum Personenkreis „Fair Play“ oder „Es ist alles erlaubt, Du darfst Dich bloß nicht erwischen lassen“ gehört. Bei KM 85, dem sogenannten „Heartbreak Hill“ in Bad Vilbel werden mir dann zwei Dinge klar. Erstens, dass die Stimmung beim Ironman Frankfurt unbeschreiblich ist und einem wirklich Kraft gibt und zweitens, dass ich trotz aller Anfeuerung dringend meinen Geschwindigkeit reduzieren muss, um nach dem Radfahren noch einen Marathon absolvieren zu können. Gesagt, getan. Ich reduziere das Tempo und winke nun auch mal den Zuschauern zu, um im Gegenzug angefeuert zu werden. Bei KM 110 stehen mein Supporteam und die Kids tatsächlich bei „The Hell“ und brüllen mich die Kopfsteinpflasterpassage hoch – das muntert auf! Bis KM 140 geht’s mir dann so auch ganz gut, nur dann kommt’s dicke: ein richtig schöner kalter Regenschauer und auffrischender Wind aus der falschen Richtung. Kombiniert mit meinen müden Beinen, die ich im Training mit max. 150 km pro Trainingseinheit konfrontiert hatte, bedeutet dies einen rapiden Geschwindigkeitsverlust. Auf flacher Strecke z.T. sogar unter 30km/h – ich beginne die Kilometer herunterzuzählen. Zum zweiten Mal am „Heartbreak Hill“ bei KM 170. Fast bricht meine Moral und ich bin sicher, da bin ich nicht der Einzige. Aber die Menschenmenge am Rand pusht jeden noch einmal so richtig hoch, da kann man einfach nicht vom Rad steigen. Die restlichen 10 km meist bergab bis in die City rollen lassen, in voller Konzentration auf die nächste Herausforderung: den Marathon. Und so kann ich dann nach 5:34h auf dem Rad, und 6:47h insgesamt meine Rennmaschine in die Hände der freundlichen Helfer übergeben und mir meinen Weg ins Wechselzelt bahnen. Profis wechseln hier in 1 Minute, ich brauche zu diesem Zeitpunkt leider 4 Minuten: Geistig etwas ausgetrocknet behalte ich beim Wechsel erstmal meine Radträgerhose an, was mir aber dann auf dem Weg aus dem Zelt doch noch auffällt. Also frisches Hemd wieder aus, Schuhe aus, Radhose aus und Hemd wieder an, Schuhe wieder an. Schnell noch die sensiblen Stellen mit Vaseline eingeschmiert und nichts wie los zur härtesten Etappe! 42,2 Kilometer Laufen Schon mal versucht nach, 180km Radeln (an der Leistungsgrenze) zu laufen? Ich jetzt schon! Das Wort „Eiertanz“ erhält eine ganz neue Bedeutung – ich bin mir sicher, dass wir alle ganz schön komisch aussehen, wir die ersten Kilometer so vor uns hinstaksen. Und da stehen Sie auch schon wieder: die Kids vom Adelgundenheim und schreien sich die Seele aus dem Leib. Leider bin ich da vom Radfahren wirklich noch etwas neben der Kappe und kann die Grüße nur ansatzweise erwidern. Dafür stehen sie nach ca. 5KM an anderer Stelle wieder am Wegesrand und da bleibe ich dann auch erstmal stehen und klatsche jeden einzeln ab als kleines Dankeschön ab - ein Supergefühl. Leider müssen Sie danach schon wieder zurück nach München fahren – ich winke also noch einmal und mache mich wieder auf meinen Weg. Die Laufstrecke ist prima. Ein 14 km Wendeparcours, d.h. die ganze Zeit herrscht ne Menge Betrieb – es kommen einem immer Läufer entgegen und man sieht auch die Profis zwischendurch immer mal wieder – die natürlich schon 1-2 Runden (d.h. 14 bzw. 28 km) Vorsprung haben – zu erkennen an den farbigen Bändchen, die man in jeder Runde ans Handgelenk bekommt (schwarz, rot, gelb). Die Atmosphäre ist gigantisch – ich laufe die ganze Zeit durch ein Zuschauerspalier und werde mit „Los Patrick lauf“, „Gib Gas, Patrick“, „Du schaffst das schon, Patrick“ auch von wildfremden Leuten angefeuert – spätestens jetzt weiß ich es zu schätzen, dass mein Name auf der Startnummer steht! Einziger Wermutstropfen: die Laufstrecke liegt zu 90% in der Sonne, die nun doch anfängt zu brutzeln, so dass ich bei jeder Station mindestens zwei Becher Wasser, Isostar und/oder Cola trinke (und mir immer zur Hälfte über den Latz schütte!), ganz zu schweigen von den Energiegels, von den ich nun wohl jede Geschmacksrichtung kenne. Insgesamt trinke ich über den Tage hinweg ca. 6 Liter (hauptsächlich Wasser) und esse ca. 1kg (nur Energiegels – die kann ich erstmal nicht mehr sehen!!!) Nach 3 km schaue ich auf meine Uhr – 14:05. Die Beine fühlen sich gut an, ich habe meinen Laufrhythmus gefunden, also laufe ich erstmal in dem Tempo weiter. Nach 6 km bin ich bei 28 Minuten und entscheide mich, mein Tempo auf 5min/km zu reduzieren – wer weiß was noch kommt. Ich suche mir einen Mitstreiter (Nico), der ein ähnliches Tempo läuft. Ich erzähle von der Spendenaktion und bin ganz begeistert als er meint: „ach, darüber habe ich doch im Triathlon Magazin gelesen, Du bist das also?“. Tja, noch besser wäre es gewesen, wenn er auch was gespendet hätte! Egal, wir schwätzen noch ein wenig so bis KM 10, ist halt auch sein erster IronMan, dann kann Nico den 5er Schnitt leider nicht mehr halten und so muss ich wohl wieder alleine dem Ziel entgegenlaufen. Ich komme immer mal wieder an meinem Supportteam vorbei, insbesondere an Florian, der sich mit seiner Kamera hier und da postiert, um meinen körperlichen Verfall zu dokumentieren. Ich versuche tapfer ins Objektiv zu lächeln, auch wenn es mir zu denken gibt, dass er in Jeans und mit Kamera nun schon locker neben mir herlaufen kann. Bei KM 17 werde ich von Nina Kraft (der späteren Siegerin in phänomenalen 8:58) überrundet, die ist da schon bei KM 31 und läuft locker einen 4.15er Schnitt. Ich rufe ihr zu „Super Nina, weiter so!“ und bin absolut begeistert, eine solche Ausnahmeathletin mal hautnah zu erleben. Bei KM 21,1 ist Halbzeit und ich bin mit den erreichten 1:43 sehr zufrieden. Mein Ziel, den IronMan Marathon unter 3:30 zu laufen, scheint in diesem Moment nicht unrealistisch – das soll sich später noch ändern. KM 24 geht in die Geschichte ein, da ich dort zum ersten und einzigen Mal an diesem Tag kurz austreten muss. Da kein Baum in der Nähe ist, muss der Main herhalten. Meine Befürchtung nach diesem Stop nicht wieder in die Gänge zu kommen, bewahrheitet sich zum Glück nicht. Ich drehe also weiter meine Runden am Mainkai. Ich komme zum zweiten Mal an der Abbiegung zum Zielbereich vorbei (KM 28) – doch der bleibt mir noch immer versperrt – mir fehlt noch das dritte Bändchen! Dies finde ich umso bedauerlicher als dort gerade ein paar extrem knackige brasilianische Sambatänzerinnen die Hüften schwingen, ob die wohl noch da sind, wenn ich in ca. 1:20h wieder hier vorbeikomme? Bei dem Gedanken an weitere 80 Minuten Laufen merke ich, dass die Beine schwerer und die Atmung flacher wird. Also denke ich stattdessen an die Sambatänzerinnen und beiße die Zähne zusammen. Bei KM 30 wird mir klar, dass ich mit dieser Strategie mein Ankommen gefährde und versuche mir stattdessen eine Zielzeit zu setzen. Es dauert einige Zeit, bis ich es durchgerechnet habe (nach 9,5h Dauersport kann man wirklich nicht mehr gut rechnen!), irgendwann realisiere ich dann aber, dass mir ein Schnitt von 5.30 reicht, um unter 10h30 zu bleiben. Dies beruhigt mich nun doch wieder sehr und mit neuem Mut stabilisiere ich meine Geschwindigkeit bei 5.15 pro KM. Ich komme nochmal am Supportteam vorbei und Flummi begleitet mich für ein paar Meter auf der Laufstrecke. Ich presse ein „ich bin am Ende“ hervor und bin froh, dass er mich nochmal anfeuert: „mach langsam“ meint er. Sehe ich wirklich so fertig aus? Bei KM 35 mache ich irgendwie eine falsche Bewegung und zack, spüre ich im linken Bein direkt zwei Ansätze zu Krämpfen: einen in der Wade, einen im Oberschenkel. Ich reduziere die Schrittlänge, erhöhe stattdessen die Schrittfrequenz und konzentriere mich darauf, meine Bewegungen zu kontrollieren. Da Krämpfe oft durch Wassermangel verursacht werden, trinke ich an der nächsten Station direkt 4 Becher Wasser und sende meinen Beinen das Signal, dass es nun keinen Grund mehr zu Krämpfen gibt – erfolgreich! Die physische und psychische Erschöpfung nimmt nun von Kilometer zu Kilometer exponentiell zu. Bei KM 37 komme ich an der Stelle vorbei, wo bis dahin mein Support-Team gestanden hat. Keiner mehr da, die sind wohl schon zum Zielbereich! Trotzdem zieht es mich in dem Moment extrem runter, ein paar aufmunternde Worte wären jetzt Gold wert gewesen. Weiter, noch 5 KM! Bei KM 39 wird es dann kritisch. Seitenstiche links und rechts zeigen an, dass die Belastungsgrenze erreicht ist. Jetzt bloß nicht stehen bleiben, sage ich mir und reduziere das Tempo nochmals um ein paar Prozent. Ich werde nun wieder von Teilnehmern überholt, an denen ich noch Minuten zuvor vorbeigelaufen bin – aber das ist mir mittlerweile völlig egal. Ich erkenne, dass ein „Ironman“ auf meinem Niveau kein Kampf gegen andere Teilnehmer ist, sondern ein gemeinsamer Kampf gegen die persönlichen Belastungsgrenzen – ich freue mich sogar, dass Sie auf den letzten Kilometern noch solche Kraftreserven haben und versuche für meinen Teil die Schmerzen zu verdrängen. Die letzte Verpflegungsstelle bei KM 41 ist erreicht, schnell noch einen Becher Wasser und einen Schwamm über den Kopf. Mir ist klar, dass es von hier noch ca. sieben Minuten bis ins Ziel sind. Spätestens alle 30 Sekunden schaue ich nun auf die Uhr und wundere mich, dass die Zeit so langsam vergeht. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich das Ziel erreichen werde. Endlich. Bei KM 42 zeige ich meine drei Bändchen vor und darf vom Rundkurs in den Zielbereich abbiegen. Die Musik wird lauter, ich trabe an der ersten Tribüne vorbei und klatsche die Zuschauer in der ersten Reihe ab. Dann scharf nach rechts abbiegen in den eigentlichen Zielkanal zum Römer. Menschenmassen links und rechts hinter den Absperrungen recken mir die Hände zum Abklatschen entgegen und nichts tue ich in diesem Moment lieber, als diesen Gruss zu erwidern. Mit ausgebreiteten Armen laufe ich also die restlichen 50m zum Römer hoch und nach 10:27:04 als insgesamt 397ter von 2200 Teilnehmern mit einem tiefen Gefühl der Zufriedenheit durchs Ziel. Seele und Körper befinden sich trotz totaler Erschöpfung absolut im Einklang, ein unvergesslicher Moment. Im Ziel läuft alles superprofessionell. Ich kriege meine Medaille und ein Handtuch und werde von zwei Helfern in den Atlethes’ Garden geführt. Dort gibt’s zuerst den medizinischen Check – in meinem Fall meint der Doc nur, „der kann noch lachen, der kann weiter“ – prima. Gut, dass er nicht meine Beine gefragt hat, die tun nämlich jetzt schon höllisch weh. Nach 1h mit Duschen, Massage, Umziehen, Wurstbrot verschlingen und Urkunde sowie Finishershirt abholen bin ich dann auch wieder bei Tanja, Florian und Flummi. Wir machen noch ein paar Fotos und ich rufe meine Eltern und die bereits auf dem Weg nach München befindlichen Kids vom Adelgundenheim an, um sie über das Ergebnis zu informieren. Zu gerne würde ich den anderen Finishern zujubeln, aber ich kann einfach nicht mehr – ich will nur noch nach Hause und schlafen. Trotzdem an dieser Stelle nochmal meine Hochachtung für jeden Finisher, egal ob nach 8 oder nach 16 Stunden! The day(s) after Ich habe Glück. Außer starkem Muskelkater in den Oberschenkeln, einem verspannten Nacken und etwas angeschwollenen Knöcheln geht’s mir am nächsten Morgen soweit gut. Beim Frühstück trinke ich erstmal vier Tassen Kaffee und abends dann drei „richtige“ Bier - nach Zeiten der Entbehrung tut das richtig gut. Am Kiosk kaufe ich drei Zeitungen, nur um jeweils die Ironman Berichte zu lesen und auszuschneiden. Beim Durchlesen stehen mir ein ums andere Mal Tränen in den Augen – es war wirklich ein ganz außergewöhnlicher Tag, dieser Ironman. Den Münchner Kids vom Adelgundenheim hat es auch sehr gut gefallen, vielleicht ist da ja das ein oder andere Triathlontalent dabei, dass die Ära der deutschen Toptriathleten in Zukunft fortsetzen kann. Fast jeder mit dem ich spreche, will wissen, ob ich es nochmal mache. Ehrlich gesagt weiß ich das noch nicht und will im Moment auch nicht drüber nachdenken. Die nächsten zwei Wochen werde ich nun erst einmal regenerieren und mir dann Gedanken über die nächsten sportlichen Ziele machen. Eines weiß ich aber schon: zur Hawaii Qualifikation fehlten dieses Jahr 50 Minuten – wenn ich noch einmal antrete, dann will ich diese Lücke schließen!