Thomas Hellriegel: "Ich war an der Grenze"

von Frank Ketterer für tri2b.com für tri2b.com | 06.07.2004 um 11:49
Achtmal kam Hellriegel in den letzten neun Jahren unter die Top-Ten auf Hawaii, viermal stand er auf dem Podest. Am kommenden Sonntag zählt er in Frankfurt wieder zu den Favoriten ...

Es ist noch gar nicht so lange her, da rückte die altehrwürdige FAZ den Triathleten Thomas Hellriegel in den Mittelpunkt ihrer bisweilen klugen Betrachtungen. Eine ganze Seite widmete das Blatt dem Dreikämpfer aus dem badischen Büchenau, und das, obwohl er zu diesem Zeitpunkt gar nichts gewonnen hatte, er war ja noch nicht einmal irgendwo gestartet. Der Text war vielmehr eine Rückschau auf den 18. Oktober des Jahres 1997, und zu sehen waren auch Fotos, die diesen Thomas Hellriegel im Ziel zeigen, die linke Faust müde in Höhe gereckt, in der rechten Hand die Deutschland-Fahne umklammert, die im irgendjemand auf den letzten Metern in die Hand gedrückt hatte. Thomas Hellriegel sieht auf diesem Foto nicht wirklich glücklich aus, sondern nur noch kaputt. Und doch ist es die schönste und wunderbarste Aufnahme, die es von dem Triathleten Hellriegel gibt, weil es ihn im Ziel von Kailua Kona zeigt, als Sieger des Ironman Hawaii. Der 18. Oktober 1997 war der Tag, an dem der 26-Jährige als erster und nach wie vor einziger Deutscher den berühmtesten Triathlon der Welt gewann. Es war, wie die FAZ ihre feine Serie über die Helden des deutschen Sports nennt, "der Tag, der mein Leben veränderte." Man hört das ja oft von Triathleten: Dass sie mit der ganzen Schinderei nur deswegen beginnen: Wegen Hawaii, und um einmal dort teilnehmen zu können, im "heiligen Land der Triathleten", wie Hellriegel die Pazifikinsel nennt. Auch bei ihm war das nicht anders. "Hawaii", sagt der Mann aus Baden, "ist der Grund von allem". Deswegen hörte er mit dem Handball, wo er es immerhin in die südbadische Jugend-Auswahl brachte, auf, und begann mit Schwimmen, Radfahren und Laufen. Mit 17 absolvierte er in Fischbach seinen ersten Triathlon, mit 18 seinen ersten Ironman, 56. wurde er 1990 in Roth. Es sollte für lange Zeit sein letzter Start über die Langstrecke bleiben, auch weil Hellriegel den Sprung in den DTU-Kader schaffte und dort schon damals nahezu ausschließlich auf die Kurzstrecke gesetzt wurde. Doch auch auf der war Hellriegel, was bisweilen in Vergessenheit gerät, ziemlich erfolgreich: Deutscher und Militärwelt-Meister 1991, EM-Zweiter und Europameister mit der Mannschaft ein Jahr später, schließlich Vierter bei der Mitteldistanz-EM 1994. Dann war es genug, schließlich gab es da ja noch dieses Hawaii, der Grund von allem. 1995 ließ zeigte Hellriegel erstmals, dass er einer der Großen der Ironman-Branche ist: Sieg im Frühjahr auf Lanzarote, Zweiter im Juni in Roth, nochmals Zweiter im Oktober auf Hawaii, beim ersten Start dort. 12 Minuten brummte der Rookie aus Germany Mark Allen damals auf der Radstrecke auf, dass es am Ende doch nicht reichte und der Altmeister an diesem "grazy german" kurz vor dem Ziel noch vorbeizog, mag Hellriegel als tragisch empfunden haben, zumal ihm im Jahr darauf mit dem Belgier Luc van Lierde haargenau das gleiche Schicksal ereilte, es hat ihm aber auch gezeigt, dass er es prinzipiell schaffen kann, diesen Traum, seinen Traum zu erfüllen: Hawaii zu gewinnen. Zufall ist es nicht, dass ausgerechnet Hellriegel es ein Jahr später tatsächlich schaffte - und Jürgen Zäck sowie Lothar Leder auf die Plätze zwei und drei verwies. Kein anderer Triathlet stellte das Rennen so sehr in den Mittelpunkt seines Schaffens wie Hellriegel. Morgens stand er auf und dachte an Hawaii, abends ging er ins Bett und dachte an Hawaii, dazwischen trainierte er wie ein Besessener für Hawaii. Ein Leben außerhalb Hawaiis? Gab es nicht. Hawaii war der Grund von allem. "Es gab nur noch Training, Essen, Schlafen. es gab nur noch Sport. Ich habe für nichts anderes mehr Interesse gezeigt. Ich bin um neun ins Bett, ich habe genau auf die Ernährung geachtet, ich habe versucht, alles zu optimieren, ein ganzes Jahr lang, alles war Hawaii, dem großen Ziel untergeordnet. Am Ende war ich 800 km geschwommen, mehr als 20.000 km Rad gefahren, 4.500 km gelaufen. Ich hatte noch sechs Prozent Körperfett, ich war an der Grenze", blickt Hellriegel heute zurück. Es hat sich gelohnt. Er hat gewonnen. Er ist ein Held, ein Star. Und das auch noch, was selten ist, ohne jegliche Allüren. Hellriegel liegen die großen Worte nicht. Was er in seinem badischen Idiom sagt, hat Hand und Fuß, immer. Er sieht sich nicht als etwas Besonderes, Glamour ist ihm ziemlich fremd. Er hat nicht abgehoben, sondern ist nach wie vor, was er immer war: ein Triathlet, ein Ironman. Und noch immer ordnet er seinem Sport verdammt viel unter, auch wenn es in den letzten Jahren mit dem ganz großen Erfolg nicht so geklappt hat. Man kann nicht über Jahre hinweg an der Grenze leben, auch Hellriegel kann das nicht. Dass die "Süddeutsche" daraus ableitete, "der Eiserne sei seltsam weich geworden" - geschenkt. Hellriegel sagt: "Ja, das stimmt: In den Jahren nach Hawaii war die Motivation ein wenig im Keller." Aber ist das nicht normal, wenn einer sich seinen Traum erfüllt hat? Achtmal unter die Top-Ten kam Hellriegel in den letzten neun Jahren auf Hawaii, viermal stand er auf dem Podest. Das kann sich, abgesehen vom Sieg, sehen lassen. Kein anderer Triathlon-Profi kann eine solche Bilanz aufweisen. Und es zeigt, dass dieser Wahnsinn im Pazifik noch immer sein Rennen ist. Er mag die Hitze und den Wind. Und er mag die Einsamkeit auf dem langgezogenen Highway. Das ist sein Verständnis von Triathlon. Es ist der Grund, warum er es immer noch tut.