Biestmilch Essentials 2: Die Qualität von Biestmilch oder der Versuch einer Klarstellung

von Susann Kräftner für tri2b.com | 21.12.2014 um 12:53
Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten ist Biestmilch heute als ein Lebensmittel definiert und nicht mehr als Milch. Sie muss dementsprechend nach den für Lebensmittel geltenden Richtlinien hergestellt und deklariert werden, die jeweils von den Gesundheitsbehörden der Länder vorgegeben werden. In Europa besteht ein harmonisierter Kodex von Regeln und Standards. Die angewendeten Qualitätskriterien unterscheiden sich in den Industrieländern der westlichen Welt nicht mehr wesentlich. Der Globus ist geschrumpft, auch wenn es um Vorsichtsmaßnahmen zur Qualitätssicherung geht.

Wir finden zwei Diskurse vor, die sich unglücklicherweise vermischen, wenn es um die Beurteilung der Qualität von Biestmilch geht. Der eine ist ein Qualitätsdiskurs, der sich auf die Sicherheit des Produktes bezieht. Für Lebensmittel gelten generell bestimmte Hygienebestimmungen, die Biestmilch erfüllen muss. Hygiene hat jedoch nichts mit der zweiten Anforderung an das Produkt zu tun, die die Wirksamkeit betrifft. Alle Gütesiegel, die man im Markt vorfindet und von unterschiedlichen Instituten und Institutionen überall auf dem Globus vergeben werden, beziehen sich auf das Problem der Hygiene und die Gefahr der Kontamination und sind als eine Art Beweis zu sehen, dass eine Produkt sauber und sicher ist.

Der andere Aspekt des Diskurses betrifft die Wirksamkeit. Speziell für Lebensmittel ist der Wirknachweis nach dem klassischen Studiendesign von randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert schwer zu erbringen. Hier trifft zu, was ich bereits erwähnt hatte, dass sich die Komplexität eines jeden Lebensmittel unserer wissenschaftlichen Methodik in der Regel entzieht.
Wenn die Sicherheit eines Lebensmittels gewährleistet ist, muss dies nicht notwendigerweise ein Problem darstellen, da es letztlich der Verantwortlichkeit des Individuums überlassen bleiben soll, herauszufinden, was ihm am besten bekommt. Aber was ich ganz persönlich für porblematisch erachte, ist vorzutäuschen, dass Qualität im Sinne von Produktsicherheit gleichzusetzen ist mit seiner Wirksamkeit.
Bei Biestmilch wird der Wirksamkeitsdiskurs gegenwärtig von den Immunglobulinen dominiert. Das ist wahrscheinlich deshalb der Fall, weil die Immunglobuline - auch als Antikörper bezeichnet - unter all den vielen Immunmolekülen bis heute zu den der breiten Öffentlichkeit vertrautesten gehören. Aber darüber mehr später.

Zunächst möchte ich beschreiben und herausarbeiten, warum Biestmilch ein sicheres Lebensmittel ist. Im Falle neuer Produkte ist es oft schwierig zwischen Qualität und Wirksamkeit zu unterscheiden und damit die Qualität umfassend zu beurteilen. Die folgenden Zeilen sollen dazu beitragen, Ihnen den Entscheidungsprozess zu erleichtern.
Es gibt inzwischen wieder Biestmilch von Kühen aus Deutschland und Österreich auf dem Markt. Da jedoch Rohcolostrum in Europa nur begrenzt verfügbar ist, und die Mengen es nicht erlauben, über Labormassstab hinaus zu produzieren, ist die zweite Quelle für Rohcolostrum vor allem Neuseeland. Neuseeland ist bekannt dafür, eine Insel von Rindern und Schafen zu sein. Es besitzt bei der Sammlung und Verarbeitung von Biestmilch eine Tradition von mehr als 40 Jahren. Die Art und Weise wie Kühe in Neuseeland gehalten werden sowie die Mengen an Biestmilch, die dadurch anfallen, erlauben eine Produktion im Massstab und nach dem Standard von Milchprodukten.

Die Kuh ist die Quelle – unser Kapital seit vielen tausend Jahren


Die Kuh als die Urquelle für eine Biestmilch von Qualität muss gesund und ihr natürliches Umfeld bewahrt sein. Kühe sind sehr sensible Tiere. Sobald die Weiden nicht mehr reichhaltig genug an Gras und Kräutern sind, nimmt die Qualität und die gegebene Menge an Biestmilch und Milch ab, ihr Gehalt an Nährstoffen wird ebenso weniger. Das selbe geschieht, wenn sich die Wetterbedingungen ändern, es entweder zu kalt oder zu heiss ist, oder aber ein Tier erkrankt. Jede Kuh erfordert täglich die spezielle Aufmerksamkeit des Bauern. Nur so kann die Qualität von Biestmilch garantiert werden.

Der erste Melkung wird immer für das Kalb aufbewahrt. Doch die Milchkuh produziert einen Überschuss an Biestmilch. Anstatt den Rest zu entsorgen - wie es in vielen Teilen Europas immer noch üblich ist - wird sie für die weitere Verarbeitung gesammelt.
Der erste Schluck Biestmilch verknüpft den Nachwuchs mit der Außenwelt, nährt ihn, bringt alle Organsysteme in Schwung und stattet das Junge mit der Immunität aus, die es braucht, bis sein eigenes effizient aktiv ist. Ihr Gehalt an Fett und anderen Nährstoffen ist hoch, sie enthält Zellen ebenso wie eine mikrobielle Flora, Hormone und tausende von Kommunikationsmolekülen.

Man unterscheidet derzeit zwei unterschiedliche Herstellungsmethoden, die es ermöglichen, Biestmilch als Lebensmittel anzubieten.



Die Herstellung von Biestmilchpulver
Viehzucht ist integraler Teil des Lebens in Neuseeland. Das Klima erlaubt es, dass die Tiere das ganze Jahr über auf der Weide bleiben. Nur einmal am Tag bewegen sich alle langsame auf die Melkmaschine zu. Dann stehen sie brav an und warten bis sie an der Reihe sind. Während dieses ruhigen, stillen Vorgangs prüfen die Farmer jede Kuh einzeln, ob sie irgendwelche gesundheitlichen Probleme aufweist. Sollte eine Kuh kränklich sein, wird sie von den anderen getrennt und auf einer eigenen Weide gehalten, solange bis sie wieder gesund ist. Den Tieren werden weder prophylaktisch noch für ein schnelleres Wachstum Antibiotika oder Hormone gefüttert.

In Neuseeland ist das Kalben auf der ganzen Insel synchronisiert. Zweimal im Jahr kalben die Kühe, im Frühling und im Herbst. Dann ist Biestmilchzeit. Jede Farm hat ihren eigenen Aluminiumbehälter, in dem die Biestmilch gesammelt und gekühlt wird. In diesem Container wird die Biestmilch auf 4 - 7°C gekühlt, bis sie von speziellen LKWs abgeholt wird. Zu keinem Zeitpunkt wird sie tief gefroren.
Der erste Schritt der Verarbeitung besteht in der Entfernung der Fettfraktion. Die flüssige Biestmilch wird nach internationalem Standard pasteurisiert (72°C für 15 Sekunden). Danach wird diese Flüssigkeit durch Verdampfung ankonzentriert. Dem Magercolostrum wird dann die Laktose zu einem großen Teil durch Filtration entzogen. Zurück bleiben ca. 5% Laktose. Nach diesem Produktionsschritt wird die Biestmilch unter niedriger Temperatur sprühgetrocknet. Vom rohen Endprodukt, dem Biestmilchpulver, werden Proben genommen und getestet. Der gesamte Herstellungsprozess ist so optimiert, dass ein sicheres Lebensmittel mit einer einzigartigen und konsistenten Kombination an bioaktiven Molekülen entsteht.

Die Herstellung von Biestmilchmolke
Europäische Biestmilch hat eine andere Geschichte. Das Kalben ist nicht wie in Neuseeland synchronisiert. Das bedeutet, dass das Sammeln der Biestmilch von Kuh zu Kuh erfolgen muss. Das impliziert, dass Biestmilch tiefgefroren werden muss. Die Höfe, die die Kriterien für ein biologisches Rohcolostrum erfüllen, liegen in der Alpenregion weit verstreut, was die Logistik des Einsammelns, jedes Mal wenn eine Kuh gekalbt hat, sehr aufwendig gestalten würde.
Eine andere Schwierigkeit in Europa besteht darin, überhaupt ausreichende Mengen an Biestmilch zu bekommen, da die Herden vergleichsweise klein sind. Die grossen Herden sind meist Massentierhaltung und erfüllen die Kriterien für ein Rohcolostrum mit Bioqualität nicht.
In Europa unterscheidet sich der Herstellungsprozess von Biestmilch als frischem Milchprodukt zum Lebensmittel schon wegen der viel geringeren Mengen, die verfügbar sind. Die tiefgefrorene Biestmilch wird zunächst aufgetaut und entfettet. Fett ist die leichteste Fraktion und bildet deshalb die oberste Schicht der Flüssigkeit. Die Flüssigkeit muss nur nach unten abgelassen werden. Ist das Fett entfernt, erfolgt die Kaseinfällung. Dies geschieht durch Lab-Fermentierung (Lab ist ein Enzym, das Eisweiss denaturiert). Dieser Schritt im Prozess ist essenziell, denn Kasein würde das Filtersystem verstopfen, das zur Anwendung kommt, um die auf diese Weise entstehende Biestmilch-Molke nach hygienischen Gesichtspunkten sicher zu machen. Die Molke wird, damit sie mikrobiologisch den Lebensmittelstandard erfüllt, gefiltert. Diese Technik erlaubt es allerdings nicht die Laktose zu entfernen. In flüssiger Biestmilch verbleiben deshalb pro 100 ml ca. 5% - 8% Laktose. In der festen Phase nach der Gefriertrocknung beträgt der Anteil der Laktose ca. 30%.
Die flüssige Form ist empfindlicher als das Biestmilchpulver. Wenn flüssige Biestmilch kühl, trocken und lichtgeschützt aufbewahrt wird, beträgt die Haltbarkeit zwei Jahre. Was während dieses Herstellungsprozesses geschieht, ist eigentlich nichts anderes, als dass am Ende eine Molke aus Biestmilch entsteht.

Der Immunglubulin-Diskurs und die Wirksamkeitsdebatte


Es wurde in den letzten Jahren bei den Anbietern von Biestmilch immer mehr zum Trend, den Gehalt an Immunglobulinen implizit als Kriterium für die Wirksamkeit der Biestmilch hervorzuheben. Die Angaben schwanken im Bereich zwischen 20% bis 45%. Natürlich sind die Immunglobuline ein wichtiger Bestandteil der Biestmilch, aber sie sind bei weitem nicht die einzigen Moleküle, die die vielfältigen Effekte der Biestmilch erklären. Es ist außerdem kritisch, nur die Menge eines biologischen Moleküls anzugeben, da die Quantität noch nichts über die Aktivität des Moleküls aussagt. Dazu kommt noch, dass eine Beurteilung und ein Vergleichen der Werte, ohne das Testsystem zu kennen, mit dem gemessen wurde, unmöglich ist. Es gibt Methoden, die die Quantität messen und andere, die die Bioaktivität nachweisen, beides sind zwei völlig verschiedene Dinge. Um die angegeben Menge beurteilen zu können, muss zudem bekannt sein, ob in der flüssigen oder festen Phase gemessen wurde. In der flüssigen Phase wird die Menge immer geringer ausfallen als in der festen Phase, wenn alle Feuchtigkeit bereits verdampft ist.
Ein anderer Aspekt, der beachtet werden sollte, ist die Tatsache, dass Biestmilch eine lebendige Substanz ist. Die Menge an Immunglobulinen hängt nicht nur vom Tag der Ernte ab, sondern auch vom Gesundheitszustand und vom Futter der Kuh. So kann der Immunglobulin-Gehalt von Charge zu Charge schwanken. Bei kleineren Chargen ist es bei weitem schwieriger, den Inhalt so zu justieren, dass eine Konsistenz von Charge zu Charge erzielt wird. Ob die Immunglobuline, wie sie augenblicklich gemessen und uns als Wirksamkeitskriterium nahegelegt werden, diesen Zweck wirklich erfüllen, benötigt weitere Studien und Diskussionen.

Nach diesem recht pragmatisch nüchternen Teil möchte ich auf den weitaus interessanteren, jedoch schwierigeren und umfangreicheren Aspekt der Wirkungen von Biestmilch übergehen. Ich kann dieses Thema hier nur sehr oberflächlich streifen. Vielleicht reicht dieser kleine Exkurs dennoch aus, um Ihre Neugierde zu wecken. Um Biestmilch mit seinen vielfältigen Effekten auf unser Wohlbefinden und auf die vielen chronischen Krankheiten zu verstehen, muss man sich mit dem Phänomen der Enzündung auseinandersetzen. Das wissenschaftlichen Bild von der Entzündung verändert sich gerade. Das ist wichtig zu wissen. Die entzündlichen Prozesse in unserem Körper werden heute als physiologisches Geschehen betrachtet. Erst wenn sie einen bestimmten Schwellenwert überschreiten, entwickeln sich Krankheitszustände.