Sebastian Kienle: Einfache Siege sind schnell vergessen

Harald Eggebrecht für tri2b.com | 13.09.2017 um 13:54
Gut vier Wochen sind es noch bis zum Ironman Hawaii 2017. Sebastian Kienle, der Sieger von 2014, will dann bei der Vergabe des Ironman-Weltmeister-Titels wieder einer der Hauptdarsteller sein. In der bisherigen Saisonbilanz stehen für den 33-Jährigen aus Mühlacker drei Siege (Cannes, Ironman 70.3 Kraichgau, Ironman Frankfurt), Rang zwei bei der Challenge Meisterschaft in Samorin, Rang drei beim Ironman 70.3 St. George und nun Rang fünf bei der Ironman 70.3 Weltmeisterschaft zu Buche. In Kona wird auch diesmal wieder gut einem Dutzend Athleten des Profifeldes Sieg- und Podestchancen zugerechnet. Am Ende entscheidet der Kopf und der Willen um Sieg, Ruhm und Ehre. Im Interview gibt Sebastian Kienle Einblicke in seinen Umgang mit der mentalen Vorbereitung.

 

tri2b.com: Wie motivierst du dich für ein Training, wenn sich die Lust nach Bewegung mal in Grenzen hält?
Sebastian Kienle (S.K.): Wichtig ist, sich von Anfang an klare Ziele zu setzen und diese auch nie aus den Augen zu verlieren – selbst wenn die Motivation mal nachlässt. Mir hilft es auch immer, mich mit anderen zum Training zu verabreden. Das funktioniert eigentlich ganz gut, denn wenn man einen festen Termin ausgemacht hat, sagt man den in der Regel nicht so leicht wieder ab. Und wenn ich die Trainingsausrüstung in meine V-Klasse packe und damit meine Trainingspartner abhole, dann ist die Freude aufs Training und die Motivation meistens auch schon wieder da. Mir ging es schon oft so, dass ich eigentlich keine Lust hatte aufs Training - am Ende war ich immer froh und stolz, dass ich mich doch aufgerafft habe. Und ganz ehrlich: Nach fünf bis sechs Stunden Radfahren, in der Kälte und im Regen, fühlt sich die warme Dusche dann zehn Mal so toll an. Im Sport geht es immer darum, Grenzen zu überwinden und über sich hinauszuwachsen. Nur dann stellt sich der Erfolg ein. 

tri2b.com: Rennen auf Profiniveau werden oft im Kopf entschieden. Wie viel Anteil nimmt die mentale Vorbereitung ein?
S.K.: Ich bin der Meinung, dass es essentiell ist, jedes Training und jede Herausforderung, die sich auf dem Weg zu dem Rennen und auch währenddessen stellt, schon sehr bewusst wahrzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen. Das „endurance mindset“ ist hier besonders wichtig: Das heißt durchhalten und auch noch die letzten Prozent herausholen. Und man muss natürlich in der Lage sein, auch nach dem Rennen genau analysieren zu können, was man taktisch richtig oder falsch gemacht hat. Ein wesentlicher Part ist es zudem, seine Gedanken unter Kontrolle zu haben und sich zu fokussieren. Habe ich ein Training hinter mir, das nicht so gut gelaufen ist, nehme ich mir immer Zeit, um alles gedanklich noch einmal durchzugehen. Das gelingt mir vor allem, wenn ich nach dem Training mit dem Auto alleine nach Hause fahre. Deswegen ist meine V-Klasse auch ein ganz besonderer Partner für mich. Hier ordne ich meine Gedanken, komme zur Ruhe und bin dann wieder bereit durchzustarten. 

tri2b.com: Wie wichtig ist es für dich, die Vorgaben des Trainingsplans zu 100 Prozent zu erfüllen – wie ist die Gefühlslage, wenn das „Soll“ nicht gleich dem „Ist“ entspricht?
S.K.: Wer immer nur an den Sieg denkt und jede Trainingseinheit darauf ausgerichtet ist, immer besser zu werden um am Schluss andere zu schlagen, der wird eigentlich nie sein volles Potenzial erreichen. Man darf sich nicht zu sehr unter Druck setzen. Ich glaube an das alte Mantra, dass der Weg das Ziel ist. Denn gerade in dem Sport, wo der Kopf, also das Mentale, eine sehr große Rolle spielt, muss es ein Gleichgewicht zwischen Körper und Geist geben. Man muss sich natürlich körperlich stählen, aber auch das Mentale muss sich entwickeln. Denn selbst wenn man rein von den athletischen Fähigkeiten her überlegen ist, kann man trotzdem im Rennen geschlagen werden - und zwar, weil die mentale Entwicklung nicht Schritt gehalten hat mit der körperlichen. 

tri2b.com: Wie gehst du mit Vorstart-Nervosität und Zweifeln um, wenn die Frage „Habe ich genug trainiert?“ aufkommt. Welche Strategien hast Du entwickelt?
S.K.: Also gerade im Rennen muss man sich verschiedene Sachen klarmachen: Wenn man auf dem Level den Sport macht und es geht einem selber schlecht, man ist nervös oder am Limit, dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass es den anderen auch so geht. Und das ist dann genau der Punkt, der das Rennen entscheidet. Das sind die Momente, die einen als Sportler aber auch ganz generell im Leben definieren. Ich glaube, dass Momente, wo man herausgefordert wird und an seine Grenzen kommt, einen erst wachsen lassen und stärker machen. Und genau daran versuche ich vor dem Start zu denken: Weil ich genau weiß, dass ein Rennen zu gewinnen, in dem ich durch die Hölle gehen musste, der absolut größte Sieg ist. Denn ein Sieg der einfach ist, den habe ich schnell vergessen. 

tri2b.com: Welche Strategien wendest du an, wenn es im Rennen anders als im Matchplan läuft?
S.K.: Wichtig ist es sich schon vor dem Rennen klar zu machen das ein "Matchplan" nicht immer funktioniert. Im Rennen gibt es einfach zu viele Variablen die man nicht beeinflussen kann. Dazu hilft es, sich für bestimmte Dinge die schiefgehen können schon vor dem Rennen eine Lösung zu überlegen (Platten, Verpflegung verloren...). Wenn eine solche Situation auftritt, sollte man probieren sie als Herausforderung anzusehen und sie als solche anzunehmen. Und am Ende hat man sich schließlich bei einem Rennen angemeldet, um herausgefordert zu werden. 

tri2b.com: Wie hat sich die mentale Vorbereitung mit der Zeit verändert – seit dem Anfang deiner Profikarriere?
S.K.: Ich bin der Überzeugung, dass ich heute meine Energie besser bündeln kann und sie dann einsetzen kann, wenn ich es wirklich brauche. Früher bin ich in jedes Rennen mit der Einstellung gegangen das ich mich selbst maximal belasten will. Alleine durch die Nervosität schon Tage vor dem Start habe ich viel Energie verloren. Jetzt schaffe ich es diese Energie besser zu nutzen. Gleichzeitig bin ich auch im Training in einer besseren Balance, extreme Hochs und Tiefs sind seltener geworden. Ich weiß mehr über mich selber und weiß auch besser wie ich mich manipulieren kann. Eine Eigenschaft die man definitiv braucht in diesem Sport.