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Dr. Klaus Pöttgen: Schwimmen ist für viele Triathleten purer Stress

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Todesfälle im Triathlonsport haben sich zuletzt gehäuft. Besonderes scheint davon die Schwimmdisziplin betroffen zu sein. Wir haben mit dem Rennarzt der deutschen Ironman-Veranstaltungen, Dr. Klaus Pöttgen gesprochen. Der Facharzt für Allgemein- und Arbeitsmedizin hat die traurigen Zwischenfälle zum Anlass genommen, diese genauer zu untersuchen. Seine Ergebnisse hat er Anfang des Jahres in einem wissenschaftlichen Beitrag veröffentlich. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit im Triathlon einen plötzlichen Herztod zu erleiden mehr als doppelt so hoch als im Marathonlauf.

tri2b.com: Herr Dr. Pöttgen, am vergangenen Wochenende ist beim Challenge Triathlon in Roth ein Staffelschwimmer im Wasser kollabiert und anschließend verstorben. Als Rennarzt beim Ironman 70.3 in Wiesbaden hatten Sie im vergangen Jahr einen ähnlichen Fall – ebenfalls verstarb ein Staffelteilnehmer beim Schwimmen. Anscheinend häufen sich solche bedauernswerten Todesfälle besonders in der ersten Triathlon-Disziplin? 
Dr. Klaus Pöttgen (Dr. K. P.): Ein Grund ist sicherlich, dass wir in vielen Triathlon-Wettbewerben einen sehr hohen Anteil an Rookies, also Athleten die zum ersten Mal einen Triathlon absolvieren, haben. Zum Beispiel hatte der neue Ironman 70.3 Italy insgesamt 1200 Starter, davon waren allein 600 Triathlon-Einsteiger. Für viele der Athleten ist dann das Schwimmen mit Neopren eine völlig neue Situation. Zudem ist gerade das Schwimmen oft die Disziplin in der die Teilnehmer den schlechtesten Trainingszustand aufweisen. Für viele erzeugt schon das Anziehen des Neos Stress, es kommt schon vor dem Start zu teils erheblichen Flüssigkeitsverlusten. Dann die Massenstartsituation, evtl. verbunden mit dem ungewohnten Wassertreten vor einem Wasserstart. In so einer Situation schießt das Adrenalin nur so in die Höhe, der Blutdruck steigt extrem an. Kommen dann noch jeweils angeborene, altersbedingte oder krankheitsbedingte Herzvorerkrankungen dazu, dann können zum Beispiel lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen ausgelöst werden. 

tri2b.com: Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Gründe, warum zuletzt bei den Todesfällen in Deutschland vor allem Teilnehmer von Staffelwettbewerben betroffen waren? 
Dr. K.P.: Die Situation im Team zu starten erzeugt natürlich nochmal zusätzlich Stress. Wer kennt das nicht von einem Staffellauf, da will man das Holz komme was wolle an den Teamkollegen weiter geben. Hier kann man nur an die Athleten appellieren, dass alles etwas gelassenen anzugehen. Außerdem sind gerade Teilnehmer in Staffeln das Schwimmen im offenen Gewässer nicht gewohnt. Jeder der schon lange im Triathlonsport dabei ist, weiß aber, dass Bahnen ziehen im Pool und Freiwasser sich deutlich unterscheiden. 

tri2b.com: Im Zusammenhang mit solch tragischen Zwischenfällen wird natürlich die Frage nach einem sportärztlichen Attest für die Belastungstauglichkeit laut. In anderen Ländern, z.B. Italien wird bei Ausdauerwettwerben dies zumindest teilweise eingefordert. Wäre eine allgemeine Attestpflicht sinnvoll bzw. auch praktikabel? 
Dr.K.P.: Klar könnte das zum Beispiel im Rahmen des DTU Startpasses mit eingefordert werden. Allerdings startet ja auch ein hoher Prozentsatz ohne Startpass. Bei den großen Veranstaltungen wäre das organisatorisch aber sowieso nur schwer durchführbar. Bei unseren Veranstaltungen unterzeichnen die Teilnehmer mit der Anmeldung, dass sie ärztlich untersucht sind und keine gesundheitlichen Bedenken für eine Teilnahme vorliegen. 

tri2b.com: Welchen Tipp können Sie als langjähriger Rennarzt nun verunsicherten Athleten geben? 
Dr.K.P.: Eine ärztliche Untersuchung ist im Grunde unabdingbar um die häufigsten Todesursachen auszuschließen. Dies sind bei jüngeren Athleten angeborene oder noch nicht erkannte Herzvorerkrankungen, bei Älteren die altersbedingten Herzerkrankungen, wie z.B. Gefäßverengungen. Die viel zitierte Herzmuskelentzündung spielt neueren Forschungsergebnissen nach nur eine untergeordnete Rolle. Trotzdem gilt natürlich die Maxime Infekte immer gut auszukurieren. Im Wettkampf selbst ist gerade für die Schwimmdisziplin die Startaufstellung zu überdenken. Es muss nicht sein, dass sich ein 12-Stunden-Finisher vorne reinstellt und von allen überschwommen wird. Anders als beim Radfahren und Laufen kann man im Wasser halt keine Pause machen. Wir mussten 2010 z.B. in Frankfurt auch schon einmal einen Profi aus dem Wasser retten, der soviel Prügel einstecken musste und Wasser schluckte, dass an eine Fortführung des Wettkampfes nicht mehr zu denken war. 

tri2b.com: Und Veranstaltern. Es gibt ja auch viele neue Veranstaltungen, denen noch die Erfahrung mit der Absicherung der Schwimmstrecke fehlt? 
Dr.K.P.: Die Helfer auf der Schwimmstrecke dürfen auf keinen Fall das Spektakel aus der Ferne betrachten. Sie müssen sehr aufmerksam dran sein am Getümmel. Auf dem Surfbrett 20 oder 30 Meter entfernt zu sitzen ist schon zu weit weg. 

tri2b.com: F.W.: Wir danken für das kurzfristige Interview und wünschen Ihnen möglichst unfallfreie Veranstaltungen in Frankfurt, Regensburg und Wiesbaden.

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