Ironman-Raceweek: Wie der Mythos weiter gelebt wird

von Bernd-Uwe Gutknecht für tri2b.com | 03.10.2011 um 22:11
„Mythos Hawaii“ lese ich an jeder Ecke hier in Kona. In den Cafés und Restaurants liegen stapelweise Hefte, Magazine, Broschüren, Sonderbeilagen. Überall steht „Mythos“ darauf. Sämtliche Schaufenster, Werbetafeln, Zäune, selbst Privathäuser sind zugepflastert mit dem „Mythos“ Aber was ist eigentlich ein Mythos?

 Mythos kommt selbstredend aus dem Alten Griechenland. Für die klugen Männer der griechischen Antike war ein Mythos das Gegenteil von logos. Die einen Philosophen argumentierten mit „logischen“ Beweisen, die anderen mit Gleichnissen, Vergleichen, Erzählungen, die nicht immer mit der Wahrheit übereinstimmen mussten, eben mit Mythen. Neudeutsch würde man vielleicht sagen: „ja bin ich denn im falschen Film!?“

Die Republik Triathlon

So ganz wirklich kommt mir diese Kleinstadt, die für eine Woche das Zentrum einer eigenen Welt ist, nicht vor. Willkommen in der „Republik Triathlon“! Kona hat tatsächlich etwas von einem Klein-Staat für Ausdauersportler. Zumindest in diesen Tagen kriegst du hier alles, was dein Herz begehrt. Jeder zweite Laden ist umfunktioniert zum Tri-Shop. Keine Ahnung, was hier sonst verkauft wird, wenn nicht Laufräder ohne jegliches Eigengewicht, Handgelenks-Computer, mit denen man auch zum Mond fliegen kann, und Energieriegel, die den Menschen zum Geparden machen. Wahrscheinlich sind das normalerweise Metzgereien und Bäckereien. Denn alltägliche Läden findest du hier in der Wettkampf-Woche nicht. Mit der Folge, dass sich die kalorienbegierigen Dreikämpfer für teueren Dollar in den legendären Cafès am Alii Drive eindecken müssen. Legende, das ist wie Mythos. Wenn ich also im legendären Lava Java Bistro sitze und am Tisch nebenan die lebende Legende aus Australien mit dem sagenhaften Sportler aus dem Heimatland smalltalken, dann fühle ich mich wie ein Lesezeichen, das in einem tausendseitigen Romanwälzer eingequetscht ist. Wie viel sich diese Legenden zu erzählen haben! Ein paar ziemlich fit aussehende Jungs ganz in gelb radeln vor meinem Bistrotisch vorbei und winken lässig. Nein, nicht mir, sondern der entgegenkommenden Gruppe mit arabischen Schriftzeichen auf dem Aerohelm. Bin ich denn Teil des Mythos, nur weil ich hier bei einem Glas „Lowfat latte macchiato with macadamia nut flavour and a shot of caramel syrup“ sitze (klingt gut, oder? in Wirklichkeit war`s ein langweiliger Espresso). Ja, denn Mythen leben ja davon, weitererzählt zu werden. Spricht keiner mehr davon, sind die Mythen bald Sagen, also Vergangenheit. Auf dem Queen Kaahumanu Highway rausgefahren in die Lavawüste in den District of North Kona: hier hat der Mythos also sein Zuhause. Energy Lab, Hawi und so. Würden die besten Triathleten der Welt an biederen Reihenhäusern vorbeifahren – und laufen, wäre es weit weniger mythisch. Hitze und Wind sorgen für die klimatischen Rahmenbedingungen. Die Odyssee wäre ja auch keine Legende geworden, wenn das Meer den alten Odysseus sanft und ruhig durch die Gegend geschippert hätte. Ein bisschen wettermäßiger Unbill muss schon sein! Was gehört noch zu einem Mythos? Na bitte, eine Portion Drama ist unabdingbar. Immer nur Happy end gibt`s in Hollywood, aber nicht auf Hawaii. Wo Sieger sind, sind auch Besiegte.

Kein Mythos ohne Helden

Womit wir bei den Menschen sind, die dem Mythos die Seele einhauchen. In dieser Sportart haben sie heldenhafte Vornamen wie Andreas, Faris, Rasmus oder Marino. Ja, es reicht hier in Kona, „vom Andreas“ zu sprechen. Jeder weiß, wer gemeint ist. Genauso gibt es für die Mythen-Beschwörer nur eine Chrissie auf der Welt. Und jetzt kommt ein ganz wichtiger Punkt: frühere intellektuelle Menschen unterschieden zwischen: „der Mythos“ und „die Mythe“. In der Mythe ging es um Großes: die Entstehung und den Untergang der Welt. Im Vergleich dazu ist der „Mythos Hawaii“ dann doch nur das Bewegungsritual von Menschen, die Zeit und Geld haben, einmal rund um den Globus zu fliegen, um ihr eigenes Kapitel in dieser sportlichen Legende zu schreiben.