Andreas Böcherer: Die Maschine läuft wieder

H. Eggebrecht für tri2b.com | 08.05.2015 um 21:23
Vor über einem Jahr erlitt Andreas Böcherer auf der Karibikinsel St. Lucia bei einem unverschuldeten Radunfall schwere Verletzungen. Die körperlichen Blessuren heilten schnell ab, so dass der Halb-Ironman-Europameister von 2011 sofort wieder ins Training einstieg. Die Psyche hatte den Unfall aber noch nicht verarbeitet. Der Körper von Böcherer war ständig in Alarmbereitschaft und konnte so die Trainingsreize nicht mehr tolerieren. Neuerliche Verletzungen kamen hinzu, die zu einer mehrmonatigen Pause führten. Über den Winter hatte der Freiburger penibel am Comeback gearbeitet. Einem ersten Test unterzog er sich Ende April beim Sprint-Triathlon in Wallisellen. Zwei Wochen später ging es dann in Aix en Provence zurück auf die geliebte Mitteldistanz, wo Böcherer zur Überraschung aller gleich ein Start-Ziel-Sieg gelang.

tri2b.com: Gleich beim zweiten Triathlon ist dir nach der langen Pause ein so nicht erwarteter Sieg gelungen, bei dem du das Rennen zudem von der Spitze aus bestimmt hast. Wie hast du dieses tolle Comeback für dich wahrgenommen? 
Andreas Böcherer (A.B.): Der Sieg war natürlich wahnsinnig schön. Wichtiger als der Sieg ist aber das gute Gefühl im Training und Wettkampf. Das ist jetzt wieder voll da. Dass es allerdings zu diesem Rennverlauf gekommen ist, war nicht geplant. Beim Schwimmen musste ich mich für den Vorsprung nicht zerreißen. Da hab ich gemerkt, die Maschine läuft wieder. Als es dann auf dem Rad auch gut lief und keiner von hinten kam, habe ich den Kopf ausgeschaltet und einfach Gas gegeben, so wie es mir am meisten Spaß macht. 

tri2b.com: Jetzt ist es ja nach so einer langen Wettkampfpause sicher nicht so einfach, gleich das richtige Wettkampf-Pacing zu finden? 
A.B.: Das stimmt. Nachdem beim Radfahren auch die Beine gestimmt haben, war natürlich der Wechsel aufs Laufen dann die große Unbekannte. Nach fünf Schritten in den Laufschuhen hab ich aber gewusst, dass auch hier alles passt. 

tri2b.com: Kannst du für dich die Leistung im Vergleich zum Andreas Böcherer in Bestform früherer Jahre einschätzen. Wie weit bist du schon wieder? 
A.B.: Ich merke ganz klar, dass ich von den vielen Trainingsjahren profitiere und deshalb relativ schnell wieder auf dieses Wettkampfniveau gekommen bin. Klar fehlt mir noch die richtige Wettkampfhärte für die letzten 30 Kilometer auf dem Rad. Das Gleiche gilt natürlich auch fürs Laufen. Direkte Vergleiche zu früheren Jahren will ich aber nicht mehr ziehen. Nicht zu Topjahren, wie 2011, und auch nicht zu den schlechten Jahren. Ich will mich voll und ganz auf das Hier und Jetzt konzentrieren. 

tri2b.com: Wie schaut das Hier und Jetzt aus? Sprich, wo wird man Andi Böcherer demnächst an der Startlinie stehen sehen. 
A.B.: In St. Pölten am 17. Mai. Der dortige Ironman 70.3 ist so wie Aix en Provence schon längerfristig geplant. Danach setze ich mich mit meinem Trainer Lubos Bilek zusammen, um die weitere Saison zu planen. Fest steht allerdings schon, dass ich bei der Challenge Heilbronn dabei sein werde. Natürlich hat man auch was im Hinterkopf. Wenn die Hawaii-Quali in Reichweite rückt, werde ich diesen Sommer auch wieder eine Langdistanz machen. In der Form sieht das natürlich gut aus. 

tri2b.com: Du hast im letzten Herbst vor der Wiederaufnahme des Trainings viel analysiert. Was hat sich konkret geändert? 
A.B.: Das Training ist jetzt viel kontinuierlicher aufgebaut. Früher hab ich versucht schon früh im Jahr, zum Beispiel in Abu Dhabi und Oceanside im März, in Topform zu sein. Das Herz-Kreislauf-System hat die dazu nötigen intensiven Reize top verarbeitet. Die Anpassungen am Bewegungsapparat gingen aber nicht so schnell. Mit der Folge, dass ich immer wieder verletzt war. So laufe ich aktuell über sehr viele Wochen um die 50 bis 70 Kilometer und nicht wie früher 100 Kilometer. Die Form ist trotzdem da und ich bin verletzungsfrei. 

tri2b.com: Wie kommt die neue Langsamkeit und Kontinuität bei den Sponsoren an? Halten einem nach so einer verpatzten Saison die Ausrüster die Stange? 
A.B.: Die allermeisten haben mir hier in der schwierigen Phase unglaubliche Unterstützung gegeben. Vor allem menschlich. Das hat mich sehr bewegt und das sehe ich mitnichten als selbstverständlich an. Jetzt ist es Zeit, das entgegengebrachte Vertrauen zurückzuzahlen. 

tri2b.com: Wir haben gerade schon über das Training unter Lubos Bilek gesprochen. Er betreut auch Sebastian Kienle und ist somit Trainer eines Ironman Hawaii-Siegers. Hat dies Auswirkungen auf deine Zusammenarbeit mit ihm? 
A.B.: Nein, überhaupt nicht. Ich habe mit Lubos gemeinsam meine größten Erfolge gefeiert. Er kennt mich und wir wissen beide, dass seine Trainingsideen bei mir funktionieren. 

tri2b.com: Besagter Sebastian Kienle steht zusammen mit Jan Frodeno derzeit in der deutschen Triathlon-Szene im Rampenlicht. Schaut man da etwas neidisch auf oder ist man froh darüber, in Ruhe sein Ding machen zu können? 
A.B.: Klar wäre ich auch gerne Hawaii- oder Olympiasieger. Allerdings hätte ich tatsächlich nicht gerne Sebastians Terminkalender. Also kann ich weiter in Ruhe trainieren und wenn dann der Hawaiisieg da ist, werde ich wahrscheinlich über die Termine nicht meckern ;-) 

tri2b.com: Nach deinem Unfall und den anschließenden gesundheitlichen Beschwerden hast du ganz bewusst Laptop und Handy bei Seite gelegt, um innerlich wieder zur Ruhe zu finden. Haben diese Erfahrungen auch Auswirkungen auf den zukünftigen Umgang damit? 
A.B.: In Aix en Provence hab ich alle internetfähigen Geräte daheim gelassen. Selbst wenn man meint, es beeinflusst einen nicht, es beeinflusst einen doch. Dort hab ich mich erst nach dem Rennen im Hotel mal kurz an einen Rechner gesetzt. Ich will hier für die Zukunft einen guten Mittelweg finden. Ganz verzichten darauf kann ich als Triathlonprofi nicht, aber es muss eben auch nicht jede Trainingsausfahrt auf Facebook gepostet werden.