Till Winkler: Ultra anstatt Marathon - Panorama anstatt Betonwüste

Sven Weidner für tri2b.com | 08.03.2021 um 13:03
Ultra ist bekanntlich der neue Marathon und dieses Jahr werden wir hoffentlich wieder eine Herbstsaison zu füllen haben. Darüber hinaus gibt es immer mehr extreme Triathlon-Wettkämpfe, wie z.B. den Inferno oder den Austria eXtreme Triathlon. Aus diesem Grund haben wir uns mit Till Winkler von 3Mountain°Trailrunning ausgetauscht, um das Thema Trail-/Ultrarunning ein wenig genauer zu beleuchten. Unser Experte hat als Sportwissenschaftler die NRW-Kaderuntersuchungen an der Universität Bielefeld begleitet. Auch selbst ist er als Leistungssportler (unter anderem Top 90 UTMB, Deutscher Meister im 24h Trailrunning, Deutscher Vizemeister im Ultratrail, Mitglied Deutsche AK Nationalmannschaft und Top 10 Zugspitz Ultratrail) auf verschiedensten Distanzen unterwegs. Schließlich ist er noch Geschäftsführer vom Ausdauerspezialisten 3Mountain°Trailrunning.

tri2b.com: Till erst einmal vielen Dank, dass du dir für uns Zeit genommen hast. Was macht für dich die Faszination am Laufen in der Natur aus?
Till Winkler (T.W.):  Sehr gerne Sven. Beim Trailrunning verbindet sich meine Liebe zum Laufen und zur Natur. Hier findet meine Lebensfreude einen Ausdruck und mein Bewusstsein eine meditative Weite. Ich laufe am liebsten in den Bergen, weil ich hier meine innewohnende Naturverbundenheit in einer Tiefe erlebe, wie nirgendwo anders.

tri2b.com: Starten wir in die Materie. Was verbirgt sich hinter den Begriffen Ultra-, Trail- oder Skyrace? Was ist gegebenenfalls der Unterschied zum klassischen Crosslauf?
T.W.: Das Skyrace wird nur dann als solches bezeichnet, wenn es bestimmte Kriterien erfüllt. Das bezieht sich in erster Linie auf die Höhe (> 2000 m), die zu bewältigenden Höhenmeter und den technischen Anspruch. Die Rennen starten im Tal und enden im Tal (Ausnahme ist das Verticalrace). Sie haben kaum bis keinen Straßenanteil und führen u.a. auch über felsige Grate, Klettersteige, Schnee- und Steinfelder.

Die Internationale Skyrunning Federation (ISF) teilt die Skyraces in unterschiedliche Kategorien ein. Vertical Race: (reine Bergauf-Rennen mit mind. 20 % durchschnittlicher und 33 % maximaler Steigung, maximal 5 km Länge und minimal 1.000 hm im Aufstieg), Skyrace: (bis zu 30km Länge mit mind. 1.300 hm), Sky Marathon: (31 bis 49 km Länge mit mind. 2000 hm) Sky Ultra: (50 bis 99 km Länge mit mind. 3.200 hm).

Trailrunning unterscheidet sich in erster Linie in der höheren Eigenverantwortung zum Skyrunning. Die Rennen werden autonom oder semi-autonom (Verpflegung durch den Veranstalter) gelaufen. Die Strecke soll dabei so viel wie möglich aus Singletrails bestehen und so wenig wie möglich Schotter- und Forstwege enthalten. Der Anteil an Asphaltpassagen sollte maximal 20 % sein. Die ATRA (Austrian Trail Running Association) unterscheidet der Streckenlänge entsprechend in Speed Trail (bis 30 km), Marathon Trail (50-60 km), Endurance Trail (70-110 km) und Ultra Trail (>110 km). Die zu bewältigenden Höhenmeter und den technischen Anspruch legt dabei der jeweilige Veranstalter fest. Die ITRA (Internationale Trail Running Association) geht dabei mehr ins Detail und unterteilt die Strecken in Distanzen von XXS bis XXL. Entsprechend der ITRA Einteilung werden die Weltranglisten Punkte vergeben.

Viele Landschaftsläufe tragen mittlerweile auch die Bezeichnung „Trailrun“. Da gilt es zu schauen, ob es sich dabei nicht eher um einen Volkslauf handelt.

Der Crosslauf ist im Vergleich zum Trailrunning eher ein Rennen mit natürlichen Hindernissen (Wurzeln, Matsch etc.) ohne lange Bergauf- und Bergabpassagen. Zudem läuft man beim Crosslauf auf einem Rundkurs mehrere Runden und die Streckenlänge ist im Vergleich zum Trailrunning eher kurz (Crosslauf-WM ca. 12 km bei den Männern und ca. 8 km Frauen).

tri2b.com: Welche dieser Distanzen macht deiner Meinung nach am meisten Sinn für einen Triathleten am Ende der eigentlichen Saison?
T.W.: Das ist eine sehr vielschichtige Frage. Wie weit darf ich ausholen? Zunächst ist das sicher mal davon abhängig, von welcher Triathlon-Distanz man kommt und mit welcher Intention man das „Abenteuer“ Trailrunning angeht. Sucht man also Spaß und Abwechslung oder eine Herausforderung. Zudem macht es Sinn die eigenen Erfahrungswerte und die Vorbelastungen der Saison zu berücksichtigen. Es macht also wenig Sinn, wenn ein „Sprinter“ einen Ultra-Trail läuft oder wenn ein Hawaii-Finisher kurz danach noch eine Dauerbelastung von >8 Std angeht. Neben der Distanz gilt es Faktoren wie die Höhenmeter, die Höhenlage und die technischen Anforderungen zu beachten. Als grobe Orientierung würde ich bis Marathon eingrenzen und sagen, je mehr Höhenmeter etc., desto weniger Kilometer.
Wenn wir über neue Trainingsreize, z.B. Kraftausdaueraspekte im Grundlagen-Trainingsblock sprechen, dann öffnen sich natürlich neue Türen.

tri2b.com: Muss ich im Training etwas beachten, wenn ich vom Triathlon auf das Trail-/Ultratraining umstelle? Was sind die häufigsten Fehler, die Anfänger machen?
T.W.: Triathleten sind in meinen Augen Ausdauer-Allrounder, mit einem Verständnis für Technik- und Koordinationstraining. Am Rad und an der Sitzposition wird gefeilt und im Wasser wird Techniktraining großgeschrieben.  Wer es versteht dieses Verständnis auf die Trails zu übertragen, der ist schon mal gut unterwegs. Denn auf den Trails sind jene im Vorteil die ihre Technik, Koordination und Ökonomie im Blick haben. Beim Laufen ist das Terrain der wesentliche Unterschied. Während die Triathleten kaum Konzentration auf die Bodenbeschaffenheit zu richten haben, müssen Trailrunner immer ein waches Auge auf die Strecke haben. Zudem ist es auf den Trails unmöglich einen durchgehenden Rhythmus zu entwickeln und die Gefahr zu stolpern oder umzuknicken ist deutlich höher.  Je länger die Distanz, umso interessanter werden die Aspekte Mindset, Rennverpflegung, -strategie und Bewegungsökonomie.

Deswegen kann man folgendes beachten: Der erhöhte Aufmerksamkeitsfokus verbraucht mehr Energie. Man sollte den wechselnden Rhythmuscharakter, das Anheben der Füße und die Propriozeption trainieren. Das gelingt am besten, wenn man zunächst auf Trails mit niedrigem technischen Anspruch übt und so lernt mit dem Untergrund zu spielen. Denn wer die Leichtfüßigkeit des Spielens entwickelt, wird sich schneller und ökonomischer durchs Gelände bewegen können. Der häufigste Fehler ist in meinen Augen das zu hohe Grundtempo.

tri2b.com: Brauche ich eine spezielle Ausrüstung (Schuhe, Rucksack, Stöcker,…), um Traillaufen zu können?
T.W.: In Wettkämpfen ist zumeist eine Pflichtausrüstung vorgeschrieben. Dadurch wird ein Laufrucksack verpflichtend. Je länger und anspruchsvoller die Distanz und das Terrain, desto umfangreicher fällt diese aus. Es sind notwendige Dinge, wie Regenjacke, Trinkflaschen (1-1,5 l), Erste-Hilfe-Set, warmes Shirt, Mütze, Telefon, Stirnlampe etc. Das Mitführen der Pflichtausrüstung wird kontrolliert. Vor dem Lauf immer und unterwegs stichprobenartig. Trailrunningschuhe sind wegen des Sohlenprofils vorgeschrieben.

Stöcke sind freiwillige Begleiter/Helfer. Vorgeschrieben ist aber, dass man sich entweder dafür oder dagegen entscheidet. Wer also damit startet, muss sie den ganzen Weg dabei haben. Wer ohne startet darf unterwegs keine annehmen.

Im Training unterliegt es der eigenen Verantwortung. Da ich häufig in den Bergen laufe, habe ich auch dort einen Laufrucksack dabei. In erster Linie für wetterspezifische Kleidung, Telefon für den Notfall und Riegel und Geld.

tri2b.com: Wie verpflegt ihr euch während des Trainings-/Wettkampfs?
T.W.: In meinen Augen gibt es drei wesentliche Gründe für die Verpflegung im Training. Das sind: das Sicherstellen der Verträglichkeit, die Stoffwechselgewöhnung und die einfache Notwendigkeit in bestimmten Trainingseinheiten.

Beim Wettkampf geht´s in meinen Augen in erster Linie um das passende Timing der Verpflegung. Je länger die Distanz und je höher der Anspruch, desto wichtiger ist es ein Energiedefizit zu vermeiden. Und das von Beginn an. Alles zusammengenommen ergibt dann eine individuelle Ernährungsstrategie.

tri2b.com: In welchem Gelände kann ich am besten meine ersten Schritte im Gelände wagen?
T.W.: Im hügeligen Wald findet man schon feine Trails mit den unterschiedlichsten Anforderungen. Deswegen eignet sich dieses Gelände hervorragend für deine ersten Schritte im Gelände. Für Wettkämpfe empfehlen sich Einsteiger Trails, wie z. B. der Easy Trail (14 km, ca. 490 hm), beim Kaiserkrone Trail in Scheffau.

tri2b.com: Gibt es für euch auch einen ähnlichen Wettkampf wie für uns den Ironman Hawaii? Wenn ja, wie kann man sich dafür qualifizieren?
T.W.: Ich denke, dass man den UTMB – Ultra Trail du Mont Blanc – so bezeichnen kann. Es ist ein Ultradistanz Berglauf, bei dem man den Mount Blanc umrundet. Auf guten 170 km und 10.000 hm führt die Route von Frankreich zunächst nach Italien und dann in die Schweiz, bevor es wieder nach Frankreich zurückgeht. Start und Ziel ist in Chamonix. Das Rennen findet immer Ende August statt.

Man kann sich für das Rennen qualifizieren, indem man Qualifikationspunkte sammelt. Das gelingt, wenn man in bestimmten Rennen die Ziellinie erreicht. Für die Qualifikation benötigt man 15 Punkte aus 3 Rennen. Hat man eine bestimmte Anzahl an Weltranglistenpunkte ist man automatisch qualifiziert.

tri2b.com: Wo könnt ihr Läufer noch etwas von uns Triathleten lernen :-)?
T.W.: Überall dort wo es Schnittmengen zwischen den Sportarten gibt kann man sich fragen, ob man neue Trainingsansätze und –inhalte findet. Generell finde ich eine offene Einstellung für andere Ansichten wichtig für die persönliche Weiterentwicklung. Wir wissen alle, dass uns neue Trainingsreize weiterbringen können.
Oberflächlich betrachtet kann ich sicher davon profitieren, wenn wir uns mal darüber unterhalten, wie ihr die vielen unterschiedlichen Trainingsaspekte passend aufeinander abstimmt.

tri2b.com: Vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns genommen hast! Wir wünschen dir alles Gute und hoffentlich trifft man sich mal im Wald auf eine Runde.
T.W.: Es war mir eine Freude und gebe den Dank gerne zurück! Ich wünsche euch auch alles Gute. Ich nehme dich auch gerne mit auf meinen Hausberg.