Freiwasserschwimmen: Effektiver Wiedereinstieg ins Freiwassertraining für Triathleten

von Marco Henrichs für tri2b.com | 10.05.2021 um 12:17
Die lange Corona-Zwangspause in der Triathlon-Auftaktdisziplin treibt momentan früher als gewohnt viele Athletinnen und Athleten ins kalte Freiwasser. Das Vorhaben, in wenigen Wochen die Kilometer wieder gut zu machen, welche ihr in den vergangenen vier bis fünf Monaten nicht absolvieren konntet, ist da fehl am Platz. Denn wenn ihr von null auf hundert viele Kilometer ohne Vorbereitung im ungewohnt kalten Wasser schwimmen möchtet, dann ist die Gefahr von Erkältungen und langfristiger Technikverfälschung durch Ermüdung etc. vorprogrammiert.

Prioritäten setzen

 

Die wichtigsten Parameter im Freiwasser ist natürlich in erster Linie die Kraultechnik, sowie die Orientierung, bzw. lernen geradeaus zu schwimmen. Jeder Kilometer in einer fehlerhaften Technik ist Gift für die Weiterentwicklung. Wenn ihr über Monate die Schwimmmuskulatur im Wasser nicht trainieren konntet, dann sind lange Schwimmeinheiten von heute auf morgen im Freiwasser kontraproduktiv. Denn erfahrungsgemäß lässt gerade beim Wiedereinstieg nach langer Pause die sehr wichtige Körperspannung bereits nach kurzer Zeit nach. Der Armzug verkürzt sich, der Beinschlag ist zu steif oder ihr greift zunehmend über. Was dann folgt sieht meist mehr als ein Kampf aus, anstatt nach Schwimmen.

 

Lieber 10 x 200 m in richtiger Technik als 2.000 m in falscher Technik

 

Um die Kraultechnik zu gewährleisten, empfiehlt sich daher kurze Strecken in ständiger Wiederholung zu schwimmen. Die Pausen dürfen kurz sein (ca. 10 – 30 sec). In dieser kurzen Pause solltet ihr euch immer wieder aufs Neue auf eine saubere Technik konzentrieren. Dazu empfiehlt sich gerade für Einsteiger immer wieder ein neuer Technik Check-Up worauf ihr euch auf die kommenden Meter konzentrieren solltet.

 

Regelmäßiger Technik-Check-Up im Freiwasser - ©H2O-Bloxx by Marco Henrichs

Macht euch je nach Leistungsvermögen einen Fixpunkt in 100 m oder 200 m Entfernung (von Ufer zu Ufer, vom Ufer zur Boje etc.). Die Wiederholungen können frei gewählt werden. Jedoch solltet ihr in den ersten 1-2 Wochen überwiegend im Grundlagentempo schwimmen um sich langsam wieder an die Belastung zu gewöhnen. Tempoverschärfungen, ein Trainieren von Positionskämpfen, Startsimulation oder Umschwimmen von Bojen im Wettkampftempo sollten erst später folgen, wenn ihr wieder im „Schwimm-Rhythmus“ drin seid.

 

Orientierungstechnik trainieren

 

Gerade die Zeit vom Wiedereinstieg solltet ihr nutzen um an eurer Orientierungstechnik zu arbeiten. Orientierung im Freiwasser (Stichwort (a)synchroner Armzug, Atmung, Orientierungsblick, Strömungsverhältnisse usw.) ist ein sehr komplexes Thema. Jedoch könnt ihr die beiden Techniken des Orientierungsblicks aktuell sehr gut trainieren.

Die Hauptursache von Schwimmzeiten im Freiwasser, die unterhalb der Möglichkeiten liegen, sind zusätzliche geschwommene Meter. Sinn und Zweck des Orientierungsblicks oder Frontblick ist es, sich nach vorne zu orientieren, um möglichst geradeaus zu schwimmen.
Aber wie kannst du einem „Schiefschwimmen“ entgegenwirken? Ich empfehle im Freiwasser u.a. grundsätzlich 8 bis 10 Armzüge (fünf x links und fünf x rechts) den Blick nach vorne zu richten. Wichtig ist, dabei „aktiv“ zu schauen. Das heißt, wenn der Kopf schon einmal nach vorne rausgeht, muss das Ziel oder euer Fixpunkt auch anvisiert werden.

 

Die zwei Techniken des Orientierungsblicks

 

Es gibt zwei verschiedene Techniken, wie du den Blick nach vorne gestalten kannst. Die bekannteste Variante ist das Wasserballkraulen, was man bei gefühlt 99% der Triathleten sieht. Hierbei drückst du deinen Kopf hoch und kraulst dabei mit deinen Armen kräftiger, sodass du die hohe Kopfposition halten kannst, um etwas zu sehen.

Orientierungstechnik Wasserballkraulen - © BeLa Sportfoto

Unterstützend ist die Beinschlagfrequenz währenddessen erhöht. Diese Armtechnik hat den Vorteil, dass du den Kopf sehr hoch bekommst. Jedoch frisst sie enorm viel Energie und macht dir jedes Mal den Kraul-Rhythmus kaputt. Wenn du über 3,8 km alle 10 Armzüge kurz ins Wasserballkraulen übergehst, wirst du den höheren Energieverbrauch deutlich spüren. Ich persönlich halte diese Technik bei den meist ruhigen Gewässern für nicht produktiv.

 

Stehender Arm als ökonomischere Variante

 

Die zweite und weitaus ökonomische Variante, ist es den vorderen Arm kurzzeitig als Hebel zu nutzen, um den Kopf bzw. Oberkörper aus dem Wasser zu drücken. Diese Technik sieht man in den klassischen Freiwasser-Wettkämpfen außerhalb von Positionskämpfen, also auf dem überwiegenden Teil der Strecke. In der technischen Umsetzung brauchen die meisten Athletinnen und Athleten gerade am Anfang viel Übung. Um den Bewegungsablauf zu verinnerlichen und zu festigen, empfiehlt es zuerst mit Kurzflossen zu trainieren. Damit habt ihr eine leichte Tempounterstützung und der Bewegungsablauf ist so einfacher.

In der Umsetzung gleitest Du, unterstützt mit einer erhöhten Beinschlagfrequenz geringfügig länger, um den Arm als Hebelwirkung zu nutzen. Ziehst du den Arm zu früh, wird es dir nicht gelingen, effektiv genug den Kopf hoch zu drücken und nach vorne zu schauen.

Orientierungstechnik stehender Arm als Hebel - © H2O-Bloxx by Marco Henrichs

Für geübte Schwimmer kann diese Art vom Orientierungsblick ebenfalls als Atemvorgang (Atmen nach vorne) genutzt werden. Die Erfahrung zeigt jedoch häufig, dass dabei viele den Fehler machen, zunächst aus Gewohnheit zur Seite zu atmen und erst im letzten Moment nach vorne zu blicken. Diese kurze Zeit reicht jedoch in den allermeisten Fällen nicht aus, um einen effektiven Frontblick zu erhalten. Daher gerade am Anfang, wenn du diese Technik erlernst, lieber bewusst trennen: Atmen zur Seite und Orientierungsblick nach vorne.

Viel Freude beim Training wünscht Marco Henrichs

  • RUS Schwimmtrainer (Schwerpunkt Freiwasser, Langstrecke und Kraulsprint) / MadWave Schwimmteam Russische Föderation
  • WEB: www.h2o-bloxx.com
  • Autor: „Kraultechnik – Mit mehr Individualität zum Erfolg“
  • Mitglied im Deutsch-Russischen Forum