Komfortabler zur Bestzeit: Zipp 858 NSW Tubeless Disc-Brake Laufräder im Test

von Harald Eggebrecht für tri2b.com | 27.09.2022 um 17:00
Sehr wahrscheinlich wird auch 2022 beim Ironman Hawaii wieder eine Podiumsplatzierung mit Zipp Laufrädern erzielt. So waren bei allen drei Frodeno-Siegen und auch bei Sebi Kienles Kona-Triumph Zipp Wheels an deren TT-Bikes montiert. Diesmal dürften die von Zipp ausgerüsteten Pros mit deren Neuentwicklungen in Sachen Aerolaufräder unterwegs sein, um den Mumuku-Winden ein Schnippchen zu schlagen. Allen voran das neue Zipp 858 NSW Tubeless Dics-Brake Laufrad dürfe dann erste Wahl sein. Wir haben den auf 28 mm Tubeless-Reifenbreite optimierten Laufradsatz über mehrere Wochen Probe gefahren. Hier ist unser Fahrbericht.


Das sagt Zipp zum 858 NSW Tubeless Disc-Brake Laufradsatz

Das Ziel von Zipp war es bei der Weiterentwicklung den Ansatz der Total System Efficency Technologie (kurz TSE), in alle Richtungen zu optimieren. Da in Sachen Aerodynamik die Optimierungsmöglichkeiten schon sehr ausgereizt sind, lagen das Thema Rollwiderstand, Vibrationsverluste und auch das Gewicht verstärkt im Fokus.

Durch die Scheibenbrems-Technologie war es möglich, bei der Felgenbreite deutlich zuzulegen. 23 mm, 4 mm mehr als zuvor, misst jetzt die Innenmaulweite. Da Zipp die Felge hakenlos konzipiert hat, ergibt sich ein sehr strömungsgünstiger Übergang von Felge zum Reifen. Durch die breiteren Tubeless-Reifen verringert sich auch der Rollwiderstand signifikant. Außerdem kann mit deutlich reduziertem Reifendruck gefahren werden, was den Fahrkomfort auf ein im Road- und Triathlon-Bike-Segment so bisher nicht gekanntes Level heben soll. Die hakenlosen Felgen haben zudem noch einen Nebeneffekt. Der Materialeinsatz ist in der Produktion geringer, was sich positiv auf den Preis und auf die Umwelt auswirkt.

© tri2b.com

Und da wäre noch das Gewicht. Nur 1530 g wiegt der neue 858er-Laufradsatz. Ganze 243 g wurden hier eingespart. Zipp versichert, dass sie in langen Testreihen untersucht haben, wo Material eingespart werden kann, ohne Einbußen an der Stabilität hinnehmen zu müssen. So kam eine neuartige Laminierungstechnologie (Carbon Internal Reinforement – CiR) zum Einsatz, bei der an den hohen Felgenflanken weniger Material verbaut ist.

Nur das Beste verbaut Zipp im Nabenbereich. Bei der reibungsreduzierten und extrem haltbaren Cognition V2 Nabe sollen am Freilauf die Sperrklinken noch direkter eingreifen. Und selbst bei der Aerodynamik vermelden die Zipp-Laufradentwickler trotz der breiteren Stirnfläche noch eine marginale Verbesserung. Ein Watt, gemittelt über alle Anströmwinkel, soll das neue 858er einsparen können.

 


Das ist Zipp

 

Zipps Historie ist eng mit dem Motorsport verwoben. 1988 wurde die Marke in Indianapolis gegründet. Wobei der Gründungsort kein Zufall war. Der Speedway von Indianapolis, wo alljährlich das die Massen elektrisierende Indy 500 Rennen ausgetragen wird, hat das Automobil-Rennsport Know-how in die Stadt im US-Bundesstaat Indiana gebracht. So war Zipp-Gründer Leigh Sargent zuvor als Automobil-Ingenieur tätig.

Schnell wurde Zipp zur absoluten Triathlon In-Marke. An die farbliche schrille 1050 Disc (1988) das Zipp 3000 Trispoke (1989, das Zipp 400 (1991) und nicht zuletzt das Zipp 2001 Beam-Bike der 90er Jahre dürfte vielen noch in der Erinnerung sein. Seit dem Jahr 2007 ist Zipp nicht mehr eigenständig und gehört zum Komponentenhersteller SRAM, der im nur 250 Kilometer entfernten Chicago seinen Hauptsitz hat.

1988 ging es los mit der Zipp 1150 Scheibe - © tri2b.com

Seit jeher ist man bei Zipp bestrebt, mit bahnbrechenden Neuentwicklungen neue Trends zu setzen. Dafür gibt es am Standort in Indianapolis eine eigene Entwicklungsabteilung, die streng geheim über mehrere Jahre an Neuheiten tüftelt. Im sogenannte „NEST“, das wie ein kleiner Bunker in der großen Fabrikhalle steht und zu dem nur wenige auserwählte Entwicklungsingenieure Zugang haben, werden die neuen Produktlinien entwickelt.

Sebastian Kienles 2019er Scott Plasma mit auf ihn personalisierten Zipp 858 NSW Laufrädern - © tri2b.com

Wenige Meter daneben ist in der großen Fabrikhalle dann echte Handwerkskunst zu sehen. Aus unscheinbaren Carbon-Matten werden die Carbon-Felgen gefertigt. Vieles ist Handarbeit, wobei es vor allem Frauenhände sind, die das diffizil erscheinende Einlegen der Carbon-Zuschnitte in die Formen mit gekonnten Handgriffen und im Zeittakt übernehmen.

Laufradaufbau im Zipp Werk in Indianapolis - © tri2b.com

Sehr großen Wert legt man bei Zipp auch auf das Qualitätsmanagement. Jeder Arbeitsschritt wird dokumentiert und kann über an den Laufrädern angebrachten QR-Codes nachverfolgt werden. Gleich neben der Produktionshalle ist deshalb die Testabteilung angesiedelt. Mit verschiedensten Maschinen wird dort das Material malträtiert und bis an die Belastungsgrenzen gebracht.

In der Testhalle ist zudem die sogenannte Rolling-Road untergebracht. Auf einem Laufband kann der aus schmalen Kunststoffschwellen bestehende Rollteppich verändert werden. So können die Schläge und die Vibrationen und deren Auswirkung auf die Geschwindigkeit und die dafür nötige Wattleistung simuliert werden. Vom superglatten Asphalt bis hin zu ruppigsten Kopfsteinpflaster-Bedingungen. Gerade bei der aktuellen Entwicklung hin zu Tubeless und breiteren Reifen sind die dort ermittelten Ergebnisse von großer Bedeutung.

Testfahrt auf der Rolling-Road: Hier können unterschiedlichste Straßenbeläge simuliert werden - © tri2b.com

 


Unser Test

 

Nachdem ich die Laufräder beim Hausbesuch in Indianapolis schon kurz antesten durfte und auch für das Luftdruck-Thema sensibilisiert wurde, folgte der ausgiebige Praxistest dann mit dem eigenen Scott Addict RC Pro. Bestückt waren die Laufräder mit 28 mm breiten Goodyear Eagle F1 Tubeless Reifen. Schon bei der Montage fiel das für eine 80er Felge wirklich superleichte Gewicht auf.

Richtig zum Tragen kommt dann das minimierte Gewicht beim Beschleunigen. Es war ein echter Aha-Effekt, wie leicht sich die eher dezent wummernden Laufräder beschleunigen ließen. Würde man mit verbundenen Augen auf dem Rad sitzen, nie und nimmer würde man vermuten, gerade über 80 mm hohe Felgen auf Speed zu bringen. Entsprechend Spaß bereiten die Wheels auch im sehr welligen Terrain.

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Die Laufräder kamen dann relativ oft bei windigen Bedingungen zum Einsatz. Hier war bei entsprechender Windrichtung der Segeleffekt sehr klar zu spüren, allerdings fiel mir vor allem anfangs das doch ziemlich nervös wirkende Lenkmoment auf. Das nur noch 719 g schwere Vorderrad reagierte trotz Zipps Sawtooth-Felgenform definitiv etwas nervöser wie manch deutlich schwerere Konkurrenzausführungen. Allerdings macht auch hier vor allem Übung den Meister. Nach mehreren Testfahrten war dann das Gefühl auch bei böigen Windverhältnissen vorhanden. Trotzdem möchten wir diesen Hinweis geben: Bei einem 80er Aero-Setup und nicht eindeutig berechenbaren Windverhältnissen sollte der Lenker immer fest in der Hand liegen. Die Liste der Athletinnen und Athleten, die hier schon schmerzvolles Lehrgeld bezahlen mussten ist lang und auch sehr prominent besetzt.

Kommen wir zum Luftdruck und Komfort. Ehrlich gesagt war es mir als Radsport-Einsteiger der 80er Jahre schon sehr schwer vermittelbar, plötzlich nur noch mit 4-5 Bar Luftdruck durch die Gegend zu rollen. Hart wie Stein waren früher die 22 mm Conti Competition Schlauchreifen mit 10 Bar und mehr aufgepumpt. Mit dem Zeigefinger angeklopft sang der Reifen dann in höchsten Tönen, je höher desto besser.

28 mm Reifenbreite und Tubeless sorgen für ein ganz neues Fahrgefühl - © tri2b.com

Ich habe mich drauf eingelassen und ganz bewusst mal nur gut 4 Bar reingepumpt. Und siehe da. Trotzdem rollte es über die Hausrunde wie gewohnt im 30er Schnitt, nur eben deutlich komfortabler. Schlechte Straßenabschnitte werden einfach glattgebügelt. Der gefühlte Grip beim Einlenken, absolut top. So macht die KOM-Jagd Spaß. Und Defekte? Fehlanzeige. Selbst mit nur 4 Bar Reifendruck schlug nix bis auf die Felge durch, zumal bei Tubeless-Reifen die gefürchteten Clincher Snake-Bits sowieso der Vergangenheit angehören.

Wichtig war für uns auch festzustellen, wie leicht die Tubeless-Montage von statten geht. Wir haben dazu den Goodyear Eagle F1 Reifen komplett demontiert und die Felge von der Dichtmilch komplett gesäubert. Anschließend wurde der Reifen neu aufgezogen, was sogar ohne Reifenheber gelang und dann ca. 40 ml MucOff-Dichtmilch eingefüllt. Das Aufpumpen gelang anschließend ohne Probleme mit der Standpumpe und auch der Luftdruckverlust war auf Clincher-Niveau.

 

Unser Testfazit:

 

Fast schon wehmütig musste ich die Zipp 858 NSW Disc-Brake Laufräder nach dem Testzeitraum wieder demontieren. Vor allem der so beim Rennradfahren nicht gekannte Komfort und das wirklich spürbar butterweiche Rollverhalten war es, dass ich wohl vermissen werde. Die Zipp-Ingenieure haben hier in ihrem Nest wirklich ganze Arbeit geleistet. Schnell Rad fahren war wohl noch nie so komfortabel möglich. Für dieses Gefühl muss man sich aber ohne wenn und aber auf Tubeless einlassen, mit einer entsprechend noch etwas eingeschränkten Reifenauswahl.

Und dann wäre da noch der Zipp-typische Preis. Echte innovative Ingenieurs-Kunst kostet eben. Bei glatten 4.000 EUR liegt die UVP für den kompletten Satz. Gerade in den aktuellen Krisenzeiten sehr viel Geld, auch wenn die US-Amerikaner im Vergleich zur Vorgängerversion etwas günstiger wurden.

Technische Details

HerstellerZipp
Modell 858 NSW Tubeless Disc Brake
empf. VK Preis in EuroSatz: 4.000 € /VR 1.725 €/HR 2.225 €
Gewicht Vorderrad 719 g
Gewicht Hinterrad 811 g
Speichen 20 Sapim CX-Ray (VR+HR)
Naben Cognition V2 Nabenset mit Axial Clutch V2 Technologie
Freilauf XDR oder SRAM/Shimano (Campagnolo separat erhältlich)
Innenmaulweite25 mm
max Felgenbreite27 mm
Felgenhöhe 85/82 mm Sawtooth-Felgenform
Bremsscheibenaufnahme Centerlock
max. Systemgewicht 115 kg
Lieferumfang Laufradsatz mit Felgenband, Centerlock-Abschlussring, 12 mm Endkappen
Garantie unbefristete Garantie für Erstkäufer
Crash-Replacement Ja, Keep-Rolling-Programm
Websitewww.sram.com/de/zipp

Bewertung

Preis/Leistungsverhältnis - +
Verarbeitung - +
Rundlauf - +
Bremsverhalten - +
Gewicht - +
Fahr- und Lenkverhalten bei Seitenwind - +
Händler/Service-Netz - +

Fotoserie: Zipp 858 NSW Tubeless Disc-Brake