Rad-Langzeittest: Das Canyon Speedmax CF 9.0 PRO (Teil 1)

von Philipp Görgen für tri2b.com | 13.07.2011 um 18:12
Schon wieder ein Radtest? Bitte nicht, mag sich nun einer denken. Bitte nicht zum x-ten Male abstrakte Newtonwerte zu Steifigkeit von Tretlager, Lenkkopf oder Komfort, mit der in der Realität wohl die allermeisten von uns eh nichts anfangen können. Frei nach dem Motto: „Und wie läuft Dein neues 5000,- Euro Rad?“ Antwort: „Super, aber im Lenkkopf fehlen mir einfach 5 NM Steifigkeit.“

Keine Frage, in den letzten Jahren des Carbon Hypes war es schon wichtig, dass man sich darauf verlassen kann, dass das gute Stück auch die Belastungen des Alltages im wahrsten Sinne des Wortes sicher „wegsteckt“ und man nicht bei jedem Schlagloch Angst haben muss, dass der High-Tec Renner unter einem wegbröselt. Insbesondere galt und gilt dies bei weniger renommierten und neuen Herstellern. Insofern ist dies auch keine Kritik der geschätzten Kollegen aus den Testlaboren. Wir aber dachten uns, wenn diese Arbeit andere machen, konzentrieren wir uns doch aufs Fahren. Nein, keine standardisierte Testrunde; ob ein Rad wirklich Spaß macht, zeigt sich erst nach mehreren 100, wenn nicht 1000 Kilometern. Und genau das will der neue tri2b.com-Langzeittest. 

Besonders wir „Badehosen“, wie manche Radsportler gerne witzeln, sind ja was das Thema Material angeht besonders sensibel. Denn seien wir ehrlich, würde es Kompressionssocken fürs Rad geben, wir würden sie „ihm“ anziehen. Das Rad und insbesondere die Zeitfahrmaschine ist dem Triathleten sein liebstes Stück - unabhängig von der eigenen Form sieht es meist spitzenmäßig aus. Zu Recht, denn wie schon in unseren Orthopädiebeiträgen erläutert, ist die Radperformance eine, wenn nicht die entscheidende Komponente, um sein läuferisches Potential voll abrufen zu können. Das gilt auch für das Canyon Speedmax CF 9.0 PRO sozusagen als „Grundlage“ der zweiten Disziplin. 
Da wir relativ spät mit unserem Vorhaben dran waren, haben wir nacheinander Hersteller kontaktiert und unser Anliegen mit der Bitte um Unterstützung mittels eines Rads für den Test vorgetragen. Die Prämisse dafür war ein aktuelles Top-Zeitfahrrad in High-End Ausstattung. Verschiedene Hersteller konnten so spät im Jahr kein Rad mehr stellen, da die Kontingente entweder bereits ausgeschöpft, alles ausverkauft oder kein Rad mehr in der notwendigen Testgröße vorhanden war. 

So waren wir schon kurz davor, dass Projekt wieder zu stoppen als das Telefon klingelte: „Ein Rad haben wir noch, das würden wir gern zu Verfügung stellen“. Sebastian Jadczak, Produkt Manager bei Canyon ist ein ruhiger und freundlicher Anfang Dreißiger. Bereits während seines Studiums arbeitete er für die Firma von Roman Arnold. Bei der persönlichen Übergabe im Canyon Headquarter in Koblenz gab es neben einem ausführlichen Rundgang auch die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch über das CF 9.0 PRO. 

Auch wenn für die meisten von uns ein solches Rad aufgrund limitierter finanzieller Ressourcen ein Traum bleibt, haben wir uns dafür entschieden. 

Die Gründe dafür sind einfach: 
1. vergleichbarer Räder kosten bei anderen Herstellern leicht 2000,-€ bis 3000,- € Euro mehr, insofern stellt das Canyon relativ gesehen eine „günstige“ Alternative dar. 

2. testet man eine Top Konfiguration, ist es leichter eine Empfehlung dafür zu geben, wo man ggf. sparen kann und der Eindruck des wesentlichen Elementes des Rades, nämlich der Rahmen, wird nicht durch unter Umständen „schlechte“ Komponenten verzerrt. 

3. ein bisschen Potential zum Träumen tut ja manchmal auch ganz gut und 

4. das Testen auf einem solchen „Geschoss“ macht -zugegeben- auch ein ziemlich Spaß. 

Professionelle Sitzpositionsanalyse und Einstellung


Doch erst die Arbeit, dann das Vergnügen. So ein Rad hat ja die Eigenschaft, dass man es nicht einfach kauft, sich drauf setzt und Bestzeit fährt. Ob Rennrad oder Zeitmaschine - alles beginnt mit dem Einstellen der optimalen Sitzposition. Im Optimum heißt das: Einstellen, Fahren, Nachstellen, wieder Fahren, wieder Nachstellen, unter Umständen ein Teil wechseln, wieder Fahren usw. Nach einigen hundert Kilometern hat man im Optimum schlussendlich eine gute Sitzposition erreicht. Manche Athleten können das berühmte Lied davon singen und quälen sich regelrecht seit Jahren auf dem „Bock“ rum. Anfänglich ging es mir bei dem Test genauso. Den Sattel etwas weiter vor, den Lenker ein Stück tiefer, die Armpads des Aero Lenkers etwas verschieben. Dann wurde mir klar: so wird das nichts. Also auf zu Bastian Nuhn von SPORT-LAPS, seines Zeichens Diplomsportwissenschaftler und „Sitzpositionsprofi“. 

Die individuelle Anpassung


Er führt mit mir den „Biocheck-Bike“ durch. Diese Analyse der Sitzposition nach biomechanischen Kriterien, orientiert die sich zum einen an objektiven und allgemeingültigen Richtlinien, vor allen Dingen aber an der individuellen Anatomie und Beweglichkeit des Athleten. 

„Hier muss man auch stets orthopädische Einschränkungen wie z.B. Bandscheibenvorfälle - die leider gar nicht so selten sind - beachten. Im konkreten Fall haben wir versucht, die bestehende Position mit der Zielsetzung ‚praktikabel auf der Langdistanz’ zu optimieren. Auch unter Berücksichtigung des aerodynamischen Aspektes war hier die Ausgangsposition schon recht gut.“, erläutert Bastian Nuhn die Arbeit mit mir und dem Canyon. 

Glück für mich: die körperlichen Voraussetzungen sind alle in Ordnung, Bastian bescheinigt mir eine sehr gute Beweglichkeit. Dann werde ich vermessen: Schritt- und Oberkörperlänge, Schulterbreite, etc. werden erfasst. Anschließend misst Bastian den Iststand der Radgeometrien. 
Jetzt werde ich auf dem Rad aus allen Richtungen gefilmt. „Dadurch kann ich genau analysieren wo Ecken und Kanten in der Bewegung sind. Ob das Becken zuviel arbeitet, oder wie die Kopf- und Schulterstellung ist. Auch macht es ein riesigen Unterschied, ob jemand einen langen Ober- oder Unterschenkel hat.“, gibt Nuhn zu Protokoll und erläutert weiter: „In unserem Fall war es in der Ausgangsposition schon ein relativ rundes Bild. Das Becken hatte noch etwas viel Bewegung, der Hüftknick war grade für längere Distanzen ein wenig zu stark. Das Verhältnis von Becken zu Tretlager war in Ordnung. So hatten wir auf einer gedachten Skala von 1-10 schon eine gute 7.“ 

Im Verlauf der Analyse wurden dann folgende Änderungen am Canyon vorgenommen:


• Absenkung der Sitzhöhe um 5mm 
• Absenkung der Sattelspitze um 2mm 
• Erhöhung der Armpads mittels beiliegenden Spacern um 1cm 
• Wechsel des Vorbaus von 70 auf 60mm 
• Drehen des Vorbaus von der „waagerechten“ in die ansteigende Position 

„Zu der erreichten Position lässt sich sagen, dass sich diese auf der angesprochenen Skala schon in Richtung einer 9 bis 9,5 bewegt. Von perfekt zu sprechen ist immer schwierig. Das ist auch oftmals ein Prozess, der Körper verändert sich im Laufe der Zeit und manchmal muss man auch im Nachhinein auch nochmal kleine Veränderungen vornehmen.“, kommentiert Nuhn seine Arbeit. Wir haben allerdings den Eindruck, dass für noch kleinere Personen als den Tester (172 cm) eventuell schwer werden könnte, eine befriedigende Sitzposition auf dem Canyon zu finden. Hier wäre je nach Nachfrage sicher ein Rahmen in XS wünschenswert.